Jacob Pins Leben und Werk

Tod eines Vogels, Holzschnitt, 1974, Kat. 255
Tod eines Vogels, Holzschnitt, 1974, Kat. 255

Der Künstler und Holzschneider Jacob Pins

Der Wunsch, Künstler zu werden, bestand bei Jacob Pins – damals noch Otto Pins – seit frühster Jugend. Sein Vater war diesen Träumen gegenüber sehr skeptisch eingestellt. Die musisch begabte Mutter war wohlwollender. Seine Träume waren eine Obsession. Mit Leidenschaft studierte er alles, was ihm über Kunst in die Hände fiel. Autodidaktisch brachte er sich Malen und Zeichnen bei und machte erste Linolschnitte. Sein erstes Ölbild war eine Mühle in Stadtlohn für einen dort lebenden Onkel. Dessen Witwe – sie lebt in Israel – hat vor kurzem dieses Bild der Stadt Stadtlohn geschenkt.

Die Familie Pins erkannte früh, was Juden in Nazideutschland zu erwarten hatten. Jacob Pins bereitete sich auf die Emigration nach Palästina vor. Dies ging nur über eine zionistische Organisation und mit einer handwerklichen Berufsausbildung als Pionier bei der Entwicklung des Landes. Für Künstler gab es keinen Bedarf, und so ließ er sich zu etwas „Ähnlichen“ ausbilden und wurde Anstreicher. 1936 verließ er Deutschland. Der Kibbuz, in dem er Unterkunft und Verpflegung fand, musste 1940 aus wirtschaftlichen Gründen schließen. Trotz Krankheiten wie Kinderlähmung und Skorbut, trotz ärmlichster Verhältnisse und gegen den Rat seiner Freunde begann er mit einem kläglichen Stipendium sein Kunststudium bei dem deutschen Expressionisten Jakob Steinhardt. Dieser war bereits 1933 vor den Nazis geflohen. In Deutschland war er ein anerkannter Künstler. Mit Ludwig Meidner hatte er die Künstlergruppe „Pathetiker“ in Berlin gegründet. Beide waren Schüler von Lovis Corinth. Pins wiederum wurde Meisterschüler bei Jacob Steinhardt. Zwischen beiden bestand eine lebenslange Freundschaft.

Selbstporträt, Holzschnitt, 1996, Kat. 340
Selbstporträt, Holzschnitt, 1996, Kat. 340

Die strenge Schulung, sein Fleiß und seine Beharrlichkeit machten Pins zum einfühlsamen und im Handwerklichen virtuosen Künstler, der besonders als Holzschneider weltweit Anerkennung erfuhr. – Der Holzschnitt ist eine Kunstform, die sich dem Betrachter nicht unbedingt auf Anhieb erschließt. Sie erfordert zunächst ein Innehalten, ein Verweilen, ein genaues Hinsehen, um dann mit dem zweiten Blick eine Liebe entstehen zu lassen. Ich möchte Ihnen bei diesem Sehen und Verweilen behilflich sein.

Der Holzdruck oder Holzschnitt ist eine Technik, bei der ein meist vorgezeichnetes Motiv aus einer glatten Holzplatte mit einem Messer herausgearbeitet wird. Dabei wird der nicht druckende Teil herausgeschnitten. Die Zeichnung bleibt als erhabener Steg stehen. Die wird mit einer Walze eingefärbt und auf Papier abgedruckt, mit einer Presse, Bürste oder sogenannten Barren. Die Arbeitsgänge werden oft von mehreren Personen ausgeführt. Pins legte großen Wert darauf, dass seine Drucke, angefangen von der Bildidee über die Zeichnung, den Schneidevorgang, das Färben und Drucken bis zum Verkauf in seiner Hand lagen.

Im 15. bis 16. Jahrhundert kam der Holzdruck in Europa zur Blüte. Es war die vermehrte Nachfrage nach religiösen Andachtsbildern, die diese Technik mit der Möglichkeit hoher Auflagen förderte. Parallel wurde der Buchdruck erfunden, damit war auch die Illustration von Büchern in großem Stil möglich. Mehr Menschen hatten Zugang zu Bildern und Informationen. Die „Bild – Zeitung“ war erfunden, die Biblia pauperum, mit Wirkung und Nebenwirkungen.

Als Kunstform wurde der Holzdruck von allen bedeutenden Künstlern der damaligen Zeit genutzt. Geadelt wurde er von Albrecht Dürer, aber auch von Lucas Cranach und Hans Holbein, dem Jüngeren, Im 17. Jahrhundert trat der Holzdruck gegenüber der feineren Radierung zurück und erlebte erst wieder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Renaissance. Die Öffnung des Handels mit Ostasien erschloss auch die Kunst dieser Länder. Man entdeckte im Holzdruck eine eigene Bild- und Formensprache. Der japanische Holzschnitt beeinflusste Künstler wie Paul Gaugin und Edvard Munch. Für den deutschen Expressionismus, besonders „Die Brücke“-Maler Erich Heckel, Ernst-Ludwig Kirchner, Karl Schmitt-Rotluff und Emil Nolde, war der Holzdruck das Medium ihres Sujets. Sie haben ihm zu einem bedeutenden Stellenwert gerade in der deutschen Kunstgeschichte verholfen. Es ist geradezu, dass eine Kunstrichtung, die in der Kunstgeschichte als „deutsche Leistung“ anerkannt ist, besonders hartnäckig von den Nazis unterdrückt wurde.

Im engen geistigen Austausch entwarfen die Expressionisten eine neue utopische Welt und ein neues Lebensgefühl gegen die verstaubte, dekadente wilhelminische Ära. Die Suche nach dem Ursprünglichen, Unverstellten, nach dem seelischen Ausdruck und nicht das Schöne und Gefällige waren bestimmend für die Bilddarstellung der Expressionisten. Sie suchten die vereinfachte Formensprache aus Fläche, Linie und Farbe. Fasziniert vom sinnlich-haptischen Erlebnis der Holzbearbeitung und vom handwerklichen Aspekt des Druckvorgangs war der Holzdruck das ideale Medium, ein Ausdruck von Kraft und Leben. Das Material Holz und der Druckvorgang werden elementare Bestandteile des Kunstwerkes. HAP Grieshaber: „Drucken ist selbst das Erlebnis. Drucken ist Rausch des Machens und gleichzeitig Kontrolle darüber, Spannung, Gewalt des Ausdrucks, Triebkraft und Radikalität.“

Eine kurze Anmerkung zu den Begriffen „Holzdruck“ und „Holzschnitt“, die ich selbst wechselnd verwende. Je nachdem, welcher Vorgang stärker betont werden soll – Drucken oder Schneiden – wird die Wortwahl getroffen. Was ist beim Druck ein Original? Jeder Druck, wenn er handsigniert ist, ist ein Original. Damit wird die Einmaligkeit des Druckes unterstrichen. Ein Unikat ist es, wenn es nur ein einziges Druckexemplar gibt.

Apokalypse – Das Pferd der Pest, Holzschnitt, 1946, Kat. 40.2
Apokalypse – Das Pferd der Pest, Holzschnitt, 1946, Kat. 40.2

Die Bearbeitung des Holzes erzwingt beim Schneiden die Konzentration, mit einfachen Linien und Formen das Wesentliche zu erfassen. Jeder Schnitt muss sitzen, Fehler können nicht korrigiert werden. Es entsteht ein klarer Stil durch die Hell-Dunkel-Kontraste und durch den weitgehenden Verzicht auf konstruierte Zentralperspektiven. Die Auswirkung auf den Malstil der klassischen Moderne wird hiermit deutlich. Auch Pins setzt sich dezidiert mit dem Material Holz auseinander. Die Bildidee wurde gedanklich und zeichnerisch vorbereitet und mit dem Format und mit der Maserung des Holzes abgestimmt. „Oft fragte ich das Holz, was ich aus ihm machen soll“, sagte Pins. Er benutzte altes Holz vom Bügelbrett bis zum Stuhlsitz, von der Tür bis zum Schrank, manchmal auch die Rückseite eines früheren Druckstocks.

Ist der deutsche Expressionismus nicht ohne den Einfluss ostasiatischer Druckkunst zu erklären, so erlebte Pins eine zweite Berührung durch sein Sammeln ostasiatischer Kunst. Er erlangte einen weltweiten Ruf als Kapazität dieses Oeuvres. Er gab zwei Bildbände über seine eigene Sammlung und ein Handbuch über den japanischen Pfostendruck heraus. Aus diesen Traditionen und Einflüssen gelang Pins eine einzigartige Synthese mit unverwechselbarer individueller Ausprägung. Er schuf in seinen Bildern spannungsreiche Flächen und Formen im Kontrast zu einem Geflecht feiner präziser Linien in einer meisterhaften Komposition. Andererseits erleben wir in seinen Flächen und der Zartheit seiner Linien einen abgeklärten Ausdruck von Ruhe und Harmonie. Durch minimalistische Andeutungen ergänzt die Fantasie unserer Augen das Gesehene zu einem vollständigen Bildmotiv. Diese Bilderfahrung wurde von ihm immer wieder genutzt, und er löste sich damit von der typischen „holzschnittartigen“ Darstellung – holzschnittartig als Synonym für grob und einfach.

Die Motivwahl bei Pins war anfangs noch stark vom Einfluss Jakob Steinhardts geprägt. Sie handelte von idyllischen Winkeln und Szenen in Jerusalem oder illustriertem jüdischen Leben aus der biblischen Geschichte. Nach seiner ersten Einzelausstellung 1945 in Tel Aviv erfuhr Pins allgemeine Anerkennung. Er emanzipierte sich von seinem Lehrer und entwickelte seinen eigenen Stil. Waren seine Bilder bisher von einem statischen Moment bestimmt, so sehen wir jetzt eine stärkere Dynamik (vgl. beide Totentänze). Die Formate wurden größer. Er nutzte das Hoch- und Querformat des Pfostendrucks und erweiterte seine Motivwahl. In seinen Tierbildern erwies sich Pins als hervorragender Beobachter. Mit sparsamen Mitteln entstanden wunderbare Bilder, die einen vermenschlichten Charakter der Tiere darstellen. Der Betrachter erkennt bei den häufig dargestellten Hähnen den Macho, mit dem sich Pins selbstironisch identifizierte – seine Frau nannte ihn „Pascha“.

Die Klage, Holzschnitt, 1970, Kat. 233
Die Klage, Holzschnitt, 1970, Kat. 233

Immer wieder bricht in seinen Motiven aber auch seine traumatische Lebensgeschichte auf, seine Entwurzelung und der Verlust seiner Familie. „Sein Werk reflektiert moderne Existenz und Befindlichkeit angesichts von Krieg, Verfolgung, Massenmord und einer Zivilisation, in der tragfähige Bindungen verloren gegangen sind.“ (Strecker) Wir spüren Einsamkeit, Einsamkeit auch unter Menschen, Enttäuschungen und Zweifel. Die historische Erfahrung seines jüdischen Volkes und seine eigenen reiben sich an der Hoffart, Dummheit und Manipulierbarkeit der Menschen. Seine Bildsprache stellt Ängste und Träume dar und Fragen nach dem Sinn des Lebens (siehe „Die Klage“). Er ist nicht belehrend, er rüttelt auf, er entblößt das Leben als Maskerade oder Theaterposse. Aber dann spüren wir wieder Sehnsucht nach Arkadien. In seinen Landschaften, den Fluss- und Wüstendarstellungen, seinen Bildern von Wald und Bäumen, Stadtansichten und Bootmotiven am Wasser, in allem erkennen wir den Romantiker. Hier zitiere ich Henri Matisse: „Es gibt auch die Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit und Ruhe, die so etwas wie ein guter Lehnstuhl sein soll, in dem man sich von physischen und psychischen Anstrengungen erholen kann.“

Die besonderen Umstände seines Lebens haben Pins als Mensch und Künstler tief geprägt. Wenn er malt, zeichnet oder als Holzschneider ein Bild schafft, teilt er uns bewusst oder unbewusst etwas mit. Wie tief der Schmerz über die Entwurzelung und Vertreibung aus seinem familiären, kulturellen und landschaftlichen Umfeld – man nennt dies Heimat – gewesen sein muss, spüren wir intensiv in seiner glücklichen Befriedigung, mit der er den Weg nach Höxter fand. Es gibt von Jacob Pins ein heimatliches Landschaftsmotiv von der Weser. Er hat diesen Weserbogen in den letzten Jahren seines Lebens fünf Mal in verschiedenen Versionen gemalt. Es war ein Ort, den er in seiner Kindheit fast täglich erlebte (Holzdruck).

Jacob Pins hat internationale Anerkennung gewonnen, nicht nur wegen seiner Meisterschaft als Holzschneider, sondern auch wegen der zeitgemäßen Bildsprache und wegen des Gehalts seiner Bilder. Sie wurden in der ganzen Welt ausgestellt. Große Museen wie das Modern Art und das Metropolitan Museum in New York oder das British Museum in London haben Bilder von ihm erworben. In diesem Kontext sind wir in Höxter natürlich stolz, von ihm so reichhaltig beerbt worden zu sein.

Dr. Dieter Schuler, Vortrag in Dülmen 2010