Jüdische Bürger in Höxter

Passfotos Alex Bernsteins von 1923 und 1926
Passfotos Alex Bernsteins von 1923 und 1926

Alex Bernstein – unermüdlicher Chronist der Juden in Höxter

Der aus Höxter stammende und später in die USA ausgewanderte Alex Bernstein hat eine besondere Bedeutung für Höxter, und man kann seinen Beitrag zur Erforschung der Geschichte der Juden in der Stadt und der Umgebung gar nicht genug würdigen. Denn er sammelte in mühevoller Kleinarbeit und aus den verschiedensten Quellen zahllose Namen und Daten der Juden in der Region und stellte sie systematisch zu nach Familien geordneten Verzeichnissen zusammen, die heute für den Forscher eine unerschöpfliche Quelle sind, wie es auch Alex Bernsteins Wunsch war.

Aus dem Geleitwort Alex Bernsteins
Aus dem Geleitwort Alex Bernsteins

Alex Bernstein wurde am 25.12.1862 in Höxter geboren. Er war ein Sohn des Kaufmanns Israel Bernstein und seiner aus Beverungen stammenden ersten Frau Rica (Ricka) Sudheim, die drei Wochen nach der Geburt ihres Sohns starb, worauf der Vater knapp ein Jahr später seine zweite Frau Caroline (Lina) geb. Rosenthal aus Meschede heiratete.

Israel Bernstein war 1851 mit seinen Eltern aus Boffzen nach Höxter gezogen und betrieb hier in der Westerbachstraße 18 ein Geschäft für Eisen- und Stahlwaren, Öfen und landwirtschaftliche Maschinen.

Alex Bernstein besuchte nach der Vorschule am KWG (1869–1872) von 1872–1878 das Gymnasium und ging nach durchschnittlichen Leistungen mit der einjährig-freiwilligen Reife aus der Obersekunda ab, um zunächst in die Eisenwarenhandlung seines Vaters einzutreten.

Jedoch scheint ihn das alltägliche Geschäftsleben auf die Dauer nicht befriedigt zu haben, und so wanderte er 1898 in die USA aus, wo er sich in Chicago niederließ und 1906 eingebürgert wurde. Er blieb unverheiratet.

Karteikarte über die Zuerkennung der amerikanischen Staatsbürgerschaft am 25.9.1906
Karteikarte über die Zuerkennung der amerikanischen Staatsbürgerschaft am 25.9.1906

In den USA war er als Herrenausstatter tätig, und zahlreiche längere Aufenthalte in Deutschland und in anderen europäischen Ländern in den folgenden Jahrzehnten sprechen ebenso wie mehrfache Spenden für seine ehemaligen Höxteraner Mitbürger für eine gesicherte Existenz.

Seine Bindung an seine Geburtsstadt verlor er nie. So überwies er etwa im Ersten Weltkrieg mehrfach Geld für durch den Krieg in Not geratene Höxteraner, und auch in den Jahren der Weimarer Republik spendete er immer wieder Geld für die bedürftigen Einwohner der Stadt.

Huxaria, 11.12.1915 und 8.1.1923
Huxaria, 11.12.1915 und 8.1.1923

Immer wieder kam auch zu Besuchen nach Deutschland und Höxter, wo er bei seinem Freund Dr. Richard Frankenberg wohnte. Waren diese Besuche zunächst noch sporadisch (belegt: 1913, 1923), so kam er in den folgenden Jahren 1926–1938 fast jährlich und auch zu längeren Aufenthalten nach Deutschland und Höxter, nutzte seine Reisen nach Europa aber auch zu Besuchen in der Schweiz und in Österreich und in den skandinavischen Ländern.

Beilage zu Alex Bernsteins Visum im Jahr 1926 mit Angabe seiner Wohnadresse bei Dr. Richard Frankenberg in Höxter
Beilage zu Alex Bernsteins Visum im Jahr 1926 mit Angabe seiner Wohnadresse bei Dr. Richard Frankenberg in Höxter

Immer mehr trat jedoch Ende der 1920er Jahre sein großes Projekt hervor: die Sammlung von Namen und Daten der Juden in der Stadt und im Kreis Höxter. Ausgehend vom „Synagogenbuch“ des Kantons Beverungen der Jahre 1810–1813, der den ganzen alten Kreis Höxter und noch einige weitere Orte einschloss, exzerpierte er danach die Eintragungen der Amtsgerichte und der Standesämter, soweit ihm das nicht verwehrt wurde.

Weitere Namen und Daten fand er durch die Abschrift der Grabsteine auf den jüdischen Friedhöfen, die Auswertung von alten Gebetsbüchern, Thorarollen und -wimpeln. Auch einige Informationen von Privatpersonen und Anderes kamen hinzu. Außerdem stieß er natürlich – etwa bei Einheiraten – auf sehr viele Informationen über Personen außerhalb des Kreises Höxter, die er ebenfalls in seine Sammlung aufnahm.

Diese nach und nach angelegte riesige Sammlung von Personen und Daten nahm Alex Bernstein aus Deutschland mit nach Chicago, sortierte und ordnete sie und stellte sie durch immer wiederholtes Abschreiben und Neuordnen in mehreren alphabetischen Registern zusammen: ein Verzeichnis der Familien, ein Verzeichnis der Frauen und ein Verzeichnis der Orte mit ihren jüdischen Einwohnern, wobei durch Schlüsselzahlen immer auf andere Eintragungen verwiesen wird.

Sicher enthalten diese Verzeichnisse auch Versehen, irrtümliche Zuordnungen und Fehler beim wiederholten Abschreiben, wie Alex Bernstein selbst in seinem „Geleitwort“ schreibt. Zudem gibt es auch bereits in den von ihm ausgewerteten Quellen immer wieder Widersprüche, etwa bei den Daten.

Trotzdem bietet seine 1937 abgeschlossene Sammlung nicht nur wegen der riesigen Menge an Namen und Daten eine geradezu unerlässliche Grundlage für die Erforschung der jüdischen Familien im ganzen Raum Höxter. Vor allem enthält seine Sammlung auch zahlreiche Daten der Aufzeichnungen in den Synagogen und von Grabsteinen jüdischer Friedhöfe, die durch die Pogrome des Dritten Reiches unwiederbringlich vernichtet sind.

Alex Bernsteins Vermächtnis vom 7.11.1940
Alex Bernsteins Vermächtnis vom 7.11.1940

Bevor Alex Bernstein am 14.1.1941 in San Diego starb, wohin er auf Rat seines Arztes gegangen war, um sich den Chicagoer Winter zu ersparen, ordnete er an, dass Exemplare der Endfassung seiner Forschungen nach seinem Tod an seinen Höxteraner Freund Dr. Richard Frankenberg und an die Gesellschaft für jüdische Familienforschung in Berlin gehen sollten. Jedoch gelangten diese Exemplare vermutlich nie zu ihren Empfängern oder sie wurden im Dritten Reich zerstört.

Ein Exemplar übergab Alex Bernstein zusammen mit allen Urschriften an seinen Freund Dr. Siegfried Kirchheimer (1891–1991) aus einer in Nieheim ansässigen jüdischen Familie, den er vermutlich bei den Nachforschungen im Staatsarchiv in Wolfenbüttel kennen gelernt hatte, wo Kirchheimer bis zu seiner Flucht in die USA als Arzt praktizierte.

Kirchheimer fügte einige Korrekturen und Aktualisierungen in die Aufzeichnungen Bernsteins ein und übergab sie schließlich an das Leo Baeck Institut in New York, wo sie heute aufbewahrt werden und inzwischen als Alex Bernstein Collection auch im Internet zugänglich sind.

Fritz Ostkämper, 10.3.2015
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de