Jüdische Bürger in Höxter

Die Familie Eppstein und
die Familie Rosenthal in Höxter

Die Vorgeschichte der bereits seit etwa 1750 in der hiesigen Gegend verzeichneten Familie Eppstein reicht in die Region um die Stadt Eppstein im Taunus zurück, denn dort erhielt der Ortsherr Gottfried von Eppstein 1335 vom Landesherrn Ludwig von Bayern die Genehmigung, zehn Juden auf seinem Gebiet anzusiedeln, und dieser Herkunftsort wurde später bei vielen Juden zum in Deutschland recht weit verbreiteten Nachnamen Eppstein (auch Epstein und Eppler). Weiteres dazu siehe hier.

Das gilt sicher auch für die später in Höxter verzeichnete Familie Eppstein, deren erster Namensträger (vermutlich Simon) um 1750/60 in Bödexen genannt wird und dessen Frau Sara (* 1735) noch aus dem hessischen Schwarzenborn stammte. Auf ihren Sohn Soistmann Simon (* 1761) gehen die weiteren Träger des Namens Eppstein in der Umgebung von Höxter zurück.

Der Grabstein von Jette Lobbenberg, geb. Eppstein auf dem Friedhof in Brakel
Der Grabstein von Jette Lobbenberg, geb. Eppstein auf dem Friedhof in Brakel

Soistmann Simon Eppstein war verheiratet mit der aus Ossendorf stammenden Spring Löwenstein (* 1761) und hatte mit ihr neun Kinder, von denen mehrere jung oder wohl unverheiratet starben. Die älteste Tocher Henriette (Jette) (1794–1866) heiratete den Brakeler Kaufmann Bendix Salomon Lobbenberg (1771–1846) und hatte neun Kinder, deren Spuren hier ebenso wenig dargestellt werden können wie die der Tochter Sara (* 1807) mit ihrem unehelichen Sohn Soistmann (* 1846) und der weiteren Tochter Therese (Röschen) (* 1815), die in Steinheim mit ihrem Mann Nathan Steinfeld (* 1814) fünf Kinder hatte.

Auch Soistmann Simon Eppsteins Sohn Bendix (1804–1867) verließ das kleine Dorf Bödexen und ließ sich mit seiner aus Mehle bei Elze stammenden Frau Jette Oberdorf (1804–1878) in Höxter nieder, wo er zum Stammvater der mindestens bis in den Ersten Weltkrieg in der Stadt Höxter verzeichneten Familie Eppstein wurde. Beide wurden nach ihrem Tod auf dem jüdischen Friedhof an der Gartenstraße begraben, ihre Grabsteine sind nicht erhalten.

Bendix Eppstein betrieb in Höxter ein Handelsgeschäft, das zumindest in den weiteren Jahren wohl vor allem im Landhandel tätig war, allerdings offenbar mehrfach den Standort wechselte. Das Ehepaar hatte acht Kinder, von denen mindestens zwei Söhne auch auf Dauer in Höxter blieben und nach dem Tod des Vaters gemeinsam das Geschäft übernahmen, das sich inzwischen in der Westerbachstraße 14 / Ecke Rosentraße 2 befand.

Bendix Eppstein Söhne Simon (* 1833) und Levi (* 1836) scheinen früh verstorben zu sein, und die Tochter Rieka (Rosalie) (* 1830) verließ Höxter vielleicht nach einer Heirat. Die weitere Tochter Bertha (* 1845) ist noch bis mindestens 1885 in Höxter verzeichnet und war vielleicht, wie ihre Zuordnung zur ›Kaufmannschaft‹ nahelegt, im Geschäft der Brüder tätig.

Rosa Eppstein und ihr Sohn Hugo

Bendix Eppsteins Tochter Rosa (* 1837) bekam 1864 den unehelichen Sohn Hugo (1864–1942). Bis mindestens 1885 wohnte sie in der sog. „Rappenburg“, dem heutigen Adam und Eva-Haus, in dem von 1867 bis 1870 auch das neu gegründete Progymnasium (später: König-Wilhelm-Gymnasium) untergebracht war. Das erklärt, weshalb Rosa Eppstein auch noch in den weiteren Jahren auswärtige jüdische Schuler bei sich aufnahm. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschwand sie aus Höxter, ob zu ihrem Sohn Hugo ist unbekannt.

Grundstück und Haus der Familie Eppstein-Löwenthal im Grundstücksbuch Bad Homburg, 1907
Grundstück und Haus der Familie Eppstein-Löwenthal im Grundstücksbuch Bad Homburg, 1907

Dieser Sohn Hugo besuchte zunächst die Vorschule am KWG und dann von 1874 bis 1878 das Gymnasium. Er ging ab, um Kaufmann zu werden. 1883 erscheint er auf den Listen der Auswanderer in die USA. Zu einer Auswanderung kam es jedoch nicht. Er kehrte nach Deutschland zurück und ging in die Gegend, wo seine frühen Vorfahren gelebt hatten. Er heiratete die in Bad Homburg vor der Höhe beheimatete Auguste Löwenthal (* 1868) und trat in das Geschäft seiner Schwiegereltern ein. Ob aus der Ehe Kinder hervorgingen, ist nicht bekannt.

Am 1.9.1942 wurde das Ehepaar über Frankfurt in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo Hugo Eppstein bereits nach wenigen Tagen am 11.9.1942 umkam. Seine Frau Auguste wurde bald danach am 29.9.1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.

Abraham Eppstein und seine Kinder

Drei Anzeigen Bendix Eppsteins von 1873 und 1884
Drei Anzeigen Bendix Eppsteins von 1873 und 1884

Bendix Eppsteins Sohn Abraham (1838–1907), der nach dem Tod des Vaters zusammen mit seinem Bruder Soistmann den väterlichen Landhandel übernahm, heiratete 1875 die fast fünfzehn Jahre jüngere Doris Matthias (* 1853) aus Manrode (heute: Borgentreich) und hatte mit ihr drei Kinder.

Berthold Eppstein 1888, 1891 und 1895 in der Quinta, Untertertia und Obersekunda
Berthold Eppstein 1888, 1891 und 1895 in der Quinta, Untertertia und Obersekunda

Von der Tochter Rosalie (* 1876) ist nur das Geburtdaum überliefert, und über den Sohn Berthold (* 1878) ist nur bekannt, dass er nach dem Besuch der jüdischen Schule von 1887–1895 das KWG besuchte und nach seiner Nichtversetzung und zusätzlicher Prüfung mit dem einjährig-freiwilligen Zeugnis abging.

Max Eppstein 1888 in der Sexta und 1891 in der Quarta
Max Eppstein 1888 in der Sexta und 1891 in der Quarta

Genauer bekannt ist das Schicksal seines jüngeren Bruders Max Eppstein (1879–1940). Auch er besuchte einige Jahre lang das KWG (1888-1895) und ging dann ab, um Kaufmann zu werden. Bei ihm kam jedoch in den folgenden Jahren eine psychische Erkrankung zum Ausbruch. Bereits 1911 befand er sich in der Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf, von wo aus er in diesem Jahr ein Gewerbe für Geigenunterricht, Heilkunde und Arzneimittel in der Albaxer Straße 7 in Höxter anmeldete. Schon diese Zusammenstellung unterschiedlichster Gewerbezweige deutet wohl auf eine geistige Verwirrung hin.

Drei Anzeigen Max Eppsteins von 1915
Drei Anzeigen Max Eppsteins von 1915

Wie eine Reihe von Anzeigen aus den Jahren des Ersten Weltkriegs zeigt, wurde er zwischenzeitlich wieder aus der Pflege nach Höxter entlassen. Dort kümmerte sich offenbar seine Mutter um ihn, und gemeinsam sicherten sie ihren Lebensunterhalt anscheinend vor allem als kleine Trödler. Später wurde Max Eppstein dann doch wieder in eine Heil- und Pflegeanstalt aufgenommen (vielleicht nach dem Tod seiner alten Mutter), diesmal in die Provinzialpflegeanstalt in Warstein. Dort befand er sich jedenfalls bei der Volkszählung im Mai 1939.

Von dort aus wurde er dann ein Opfer der Euthanasie. Am 20.9.1940 wurde er im Rahmen der „Aktion T 4“ zunächst in die Sammelstelle in der Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf überstellt und dann am 27.9.1940 in die Tötungsanstalt im alten Brandenburger Zuchthaus transportiert, wo er noch am selben Tag der Euthanasie zum Opfer fiel.

Soistmann Eppstein und seine Kinder

Durch Bendix Eppsteins jüngeren Bruder Soistmann (* 1842), der zusammen mit ersterem das Geschäft des Vaters in Höxter weiterführte, kam es zu einer Verbindung mit der in diesem Zeitraum in Höxter lebenden Familie Rosenthal, denn Soistmann Eppstein heiratete 1874 Rosalie Rosenthal (* 1850), die älteste Schwester des späteren Gründers der berühmten Porzellanmanufaktur Philipp Rosenthal (zur Familie Rosenthal siehe unten).

Klassenfoto der Vorschule 1885 mit Bruno Eppstein (nicht identifizierbar)
Klassenfoto der Vorschule 1885 mit Bruno Eppstein (nicht identifizierbar)

Soistmann Eppstein und seine Frau bekamen drei Kinder. Die Tochter Else (1875–1876) starb bereits mit einem Jahr. Ihr Bruder Bruno (1877–1890), besuchte die Vorschule am KWG und dann das Gymnasium, wurde aber nach drei Jahren wegen Kränklichkeit aus der Schule entlassen. Er starb mit 13 Jahren und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Höxter begraben.

Hedwige Oppenheimers Name auf dem <i>Mémorial de la Shoah</i> in Paris
Hedwige Oppenheimers Name auf dem Mémorial de la Shoah in Paris

Die Tochter Hedwige (* 1878) heiratete 1899 den aus Mehle stammenden Arzt Dr. Robert Oppenheimer (* 1868) und lebte mit ihm in Köln, wo der Sohn Ernst geboren wurde, über den aber nichts Weiteres gesichert ist. Nach dem frühen Tod ihres Mannes leitete Hedwige Oppenheimer eine Filiale der von ihrem Onkel Philipp gegründeten Prozellanmanufaktur Rosenthal in Köln und dann in Düsseldorf. Im Dritten Reich Reich floh sie nach Frankreich, wurde jedoch dort in Paris festgenommen, im Lager Drancy interniert und dann am 9.2.1943 zur Ermordung nach Auschwitz deportiert.

Die Familie Rosenthal in Höxter

Die Familie Rosenthal war wohl nur etwa zehn Jahre lang in den 1870er und 1880er Jahren in Höxter ansässig, ein Zeitraum, auf den sich auch die vorliegende Darstellung im Wesentlichen beschränkt.

Philipp Abraham Rosenthal
Philipp Abraham Rosenthal

Bereits seit dem 18. Jahrhundert sind die Familie im südlichen Münsterland verzeichnet, wo 1759 der Vorfahr Salomon Levi sowie 1776 und 1804 dessen Sohn Abraham Levi gen. Raphael genannt werden. Dessen Sohn Philipp Abraham Rosenthal (1774–1853) wurde in Westönnen geboren und zog 1811 nach Werl, wo er „eine Ehlen- u. Spezereiwarenhandlung (Tuch- und Gewürzwaren)“ eröffnete und 1826 um eine Baumwollweberei erweiterte.

Er heiratete die aus Geseke stammende Sara Rosenberg (1793–1841) und hatte mit ihr acht Kinder. Ihr Sohn Abraham (1821–1902) übernahm die Weberei des Vaters und erwies sich ebenfalls als erfolgreicher Unternehmer, der mit seinen Erzeugnissen 1850 sogar auf der Leipziger Messe vertreten war. In den folgenden Jahren stellte er sein Geschäft aber um und firmierte ab 1856 in den Gewerbesteuerlisten als „Rosenthal, Abraham, Manufaktur, Porzellan- und Glaswarenhandlung.”

Abraham Rosenthal war seit 1849 mit der aus Ibbenbüren stammenden Emilie Meyer (1849–1892) verheiratet und hatte mit ihr sechs Kinder, von denen die bereits genannte älteste Tochter Rosalie (* 1850) 1874 den Höxteraner Landhändler Soistmann Eppstein (* 1842) heiratete (siehe oben). Das ist sicher auch der Hintergrund, weshalb ihr jüngster Bruder Wilhelm (1864–1946) ab 1875 in Höxter das Gymnasium besuchte, auf den sich die folgenden Ausführungen im Wesentlichen beschränken müssen.

Eigentlich hätte Abraham Rosenthals Sohn Philipp (1855–1937) das Geschäft des Vaters in Werl übernehmen sollen, jedoch trieb seine Abenteuerlust den erst 17-Jährigen bereits 1872 zusammen mit seinem etwas älteren Bruder Max Adolph (* 1852) für einige Jahre in die USA.

Mitteilungen der Werler Arbeitsgemeinschaft für Familienforschung (1986)
Mitteilungen der Werler Arbeitsgemeinschaft für Familienforschung (1986)

1881 folgte ihnen auch der jüngste Bruder Wilhelm, der 1878 vom Gymnasium in Höxter abgegangen war, um Kaufmann in Werl zu werden, wie das Abgangsbuch des KWG festhält – also wohl statt seines Bruders Philipp das väterliche Geschäft weiterzuführen. Eine Kaufmannslehre in Lübbecke behagte ihm jedoch wohl nicht, und so ging er 1881 angeblich nach Mexiko, tatsächliche aber wie seine Brüder in die USA.

Das dürfte der Grund sein, weshalb der ohne Nachfolger gebliebene inzwischen fast 60-jährige Vater Abraham Rosenthal 1880 sein Geschäft in Werl (nach und nach?) aufgab und mit seiner Frau Emilie nach Höxter zog, wo die Tochter Rosalie mit dem Kaufmann Soistmann Eppstein verheiratet war. 1880 und 1885 ist das Ehepaar hier in den Listen der Volkszählungen verzeichnet, verzog aber dann, vermutlich nach Bonn, wo Abraham Rosenthal nach seinem Tod 1902 begraben wurde.

Die Söhne Philipp und Max Adolph waren 1879 aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt und begannen in den folgenden Jahren mit dem Aufbau ihrer Porzellanmanufaktur in Selb und in anderen Orten, und auch der dritte Bruder Wilhelm kehrte nach Deutschland zurück. Er heiratete die aus Werl stammende Johanna Weinberg und trat dann in leitender Funktion in das Unternehmen ein. 1896/97 war er zunächst Mitleiter der Zweigniederlassung in Asch, dann seit 1897 Kommanditist der Porzellanfabrik Bauer, Rosenthal & Co. in Kronach, seit 1901 Vorstandsmitglied der Rosenthal AG und seit 1919 Aufsichtsratsmitglied. 1928 ließ er sich dann in Zug (Schweiz) nieder und leitete bis Enteignung der Firma das Verkaufswesen des Konzerns. Er starb 1946 in Zug.

Fritz Ostkämper, 14.4.2017
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de