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Jacob Pins „Boot“, Holzschnitt 1972

Jacob Pins „Boot“, Holzschnitt 1972
Limitierter Sonderdruck (Auflage 110 Ex.) zum 10-jährigen Bestehen der Jacob Pins Gesellschaft.
VP € 70.–

Was für ein Bild! Eigentlich sollte man schweigen – ich frage trotzdem: Wie kommt es, dass ein Bild mich so erfasst, mich einbezieht in eine tiefe Stille?

Da ist zunächst die konsequente Reduktion der Ausdrucksmittel, die Verknappung der Bildaussage auf das Wesentliche: ein Boot – ein Baum – ein Hintergrund. „Boot“ ist der Titel des Bildes, nicht ein oder das Boot. Der fehlende Artikel betont das Thema. Der Betrachter schaut von oben – aus der Vogelperspektive – in das Innere eines einfachen Ruderbootes. Es liegt in Ufernähe eines Sees. Das Boot macht den Hintergrund zu einem Gewässer. Die querverlaufenden Linien der Holzmaserung werden zu kleinen Wellen. Sie erstrecken sich von Bildrand zu Bildrand. Oben gibt es keinen Horizont als Abschluss. Ein halbdunkles kleines Astloch links oben wird zum Mond. Er steht nicht am Himmel, wir sehen nur seine Spiegelung im Wasser mit einem Lichtstrahl bis zum Boot. So entsteht ein Schattenspiel der Wellen, die das Bild modellieren. Die motivische Gewichtung der linken Bildhälfte wird rechts durch einen Baum ausgewogen. Dieser ist eine dunkle Silhouette, ein breiter Stamm mit feingliedrigen blattlosen Ästen. Die Verwurzelung liegt außerhalb des Bildes und vermittelt dem Betrachter, dass er an einem Ufer steht.

Die Tiefe des Bildes entsteht nicht durch eine mathematische Zentralperspektive mit einem Fluchtpunkt, sondern durch die angedeutete Diagonale des Bootes, die Gegendiagonale des Baumes und die horizontalen Linien der Wellen. Das
Besondere des Bildes ist die perspektivische Farbgebung. Im Gegensatz zur klassischen Tiefenwirkung der Farben, bei denen sich der dunkle Vordergrund in eine helle, bläuliche Tiefe entwickelt, ist die Farbtönung in diesem Bild umgekehrt. Am unteren Bildrand zeigt ein hellgelb getönter breiter Streifen das seichte Wasser der Ufernähe. Über eine Grünfärbung verliert sich die Farbe in ein Dunkelblau. Das ist ungewöhnlich für einen Farbdruck, da jede Farbe durch einen eigenen begrenzenden Druckstock aufgetragen wird. Dieser Holzdruck entstand aus zwei Druckstöcken, einmal für das Boot und den Baum, dann für den Hintergrund. Die fließenden Farben sind mit dem Pinsel auf den Druckstock aufgetragen. Die Unregelmäßigkeiten und Verwischungen erzeugen zusammen mit der Holzstruktur eine lebendige malerische Stimmung.

Verweilen wir noch einmal vor dem Bild und vergessen wir das akademische Geschwätz. Treten Sie ein in die grenzenlose Weite und Ruhe. Vielleicht kommen Ihnen Gedanken an die mythische Bedeutung des Bootes, an die Überfahrt in eine andere Welt.

Dieter Schuler (in: „Begegnungen mit Jacob Pins“)