Jüdische Bürger in Höxter

Das wohl als Stammhaus anzusprechende Haus der Familie Archenhold in Amelunxen
Das wohl als Stammhaus anzusprechende Haus der Familie Archenhold in Amelunxen

Von Amelunxen in die Welt – die Familie Archenhold

Die Familie Archenhold, die mindestens seit Anfang des 18. Jahrhunderts im Raum Ostwestfalen ansässig war, zählt zu den sephardischen Juden. Wie die 2012 mit 100 Jahren gestorbene Irmgard Horn, geb. Katz, eine Nachkommin, aus den Familienerinnerungen berichtet, lebten die Vorfahren im Mittelalter in Spanien, bis sie nach der Einführung der Inquisition (1478) und dem Alhambra-Edikt von 1492 vertrieben wurden und in die Niederlande gingen, wo ein Zweig der Familie bis mindestens ins 19. Jahrhundert in Arnheim ansässig war. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurde das Stammhaus dort verkauft.

Angehörige der Familie zogen bereits spätestens um 1700 von Holland nach Deutschland und siedelten sich in Amelunxen an, wo 1731 der im Folgenden als ›Stammvater‹ bezeichnete Salomon Seligmann geboren wurde. Dieser war Ende des 18. Jahrhunderts das reichste Mitglied der Corveyer Judenschaft und gehörte als Vorsteher und Kämmerer zu ihren offiziellen Vertretern und Führern.

Salomon Seligmann (1731–1812) nahm 1808 bei der Namensannahme der westfälischen Juden den bürgerlichen Namen Archenhold an und wurde zum Stammvater der in den Quellen auch als Argenholt, Archenholz, Archenholtz u.ä. erscheinenden Familie. Bekannt ist außerdem, dass seine jüngere Schwester Kindel (* 1747) den in Willebadessen lebenden Calmon Bendix Eichholz (* 1739) heiratete und mit ihm in den Nachbarort Lichtenau verzog.

Salomon Seligmann Archenhold hatte mit seiner aus Stahle stammenden Frau Pesgen Soistmann/Sussmann (1737–1817) sieben Söhne, die ebenfalls eigene Familien gründeten (über Töchter ist nichts bekannt) und für die das Dorf Amelunxen natürlich nicht genügend Entfaltungs- und Verdienstmöglichkeiten bot, so dass die meisten von dort verzogen.

In den folgenden Jahrzehnten entstanden so in verschiedenen Orten und Gegenden eigene Zweige der Familie Archenhold, unter anderem in Lichtenau (Krs Paderborn), in der Gegend um Halberstadt, im Rhein-Main-Gebiet und in Waco (Texas), nach der Vertreibung aus Deutschland auch in England und in Neuseeland, von denen viele aber zumindest sporadisch weiterhin eine Verbindung aufrecht erhielten und auch heute noch aufrecht erhalten.

Der Versuch einer auch nur annähernd vollständigen Erfassung der Nachkommen dieser zahlreichen Familie würde die vorliegende Darstellung sprengen, zumal die im Laufe von 200 Jahren immer wieder gewählten Namen Seligmann, Soistmann, Salomon, Siegmund leicht zu Verwirrung führen könnten. Diese Namen und einzelne andere, aber bisher nicht zu erhärtende Hinweise könnten auf eine Verwandtschaft zu jüdischen Einwohnern in Peckelsheim, Borgentreich und Willebadessen hindeuten.

Die vorliegenden Darstellung folgt der Übersicht halber möglichst den Familien der sieben Söhne des Stammvaters Salomon Seligmann in der Hoffnung, dass die vielfältigen Verzweigungen erkennbar bleiben. Sie berücksichtigt vor allem die in der näheren Umgebung von Amelunxen ansässigen Familienmitglieder, während auf die von hier verzogenen Nachkommen nur Schlaglichter geworfen werden können.

Die ersten drei Generationen der Familie Archenhold
Die ersten drei Generationen der Familie Archenhold

Der älteste Sohn Seligmann Salomon Archenhold

Seligmann Salomon Archenhold (1760–1817), der älteste Sohn des Amelunxer Stammvaters Salomon Seligmann, heiratete 1784 oder 1785 die 15 Jahre ältere Jente (1745–1824), die verwitwete Frau des Ovenhauser Juden Soistmann Berend, der 1783 von einem Bauern aus Bellersen ermordet worden war, ein Ereignis, das für Annette von Droste-Hülshoff zur Grundlage ihrer „Judenbuche“ wurde.(1) Jente brachte zwei Kinder mit in die Ehe. Weitere Kinder wurden aus der Ehe mit Seligmann Salomon nicht geboren.

Das von Salomon Archenhold errichtete Haus in Ovenhausen (später Haus der Familie Uhlmann)
Das von Salomon Archenhold errichtete Haus in Ovenhausen (später Haus der Familie Uhlmann)

1784 erwarb Seligmann Salomon ein noch unbebautes Grundstück, jedoch kam es aus unbekannten Gründen in der folgenden Zeit zur zwischenzeitlichen Trennung des Ehepaars, nach der Seligmann Salomon etwa 1793/94 wieder zu seiner Frau zurückkehrte. Zusammen mit seinem Stiefsohn Berend Soistmann (1777–1841) errichtete auf dem Grundstück in Ovenhausen Nr. 93 (Hauptstraße 31) ein Haus, das er 1805 an den damals 28-jährigen Stiefsohn übertrug, der 1808 den Namen Steilberg annahm.(2)

Seligmann Salomon sicherte sich jedoch ein Wohnrecht und wohnte in den folgenden Jahren mit seiner Frau Jente, dem mit der aus Kaunitz stammenden Hanne Dreyer (1777–1863) verheirateten Stiefsohn Berend/Bernhard, dessen fünf Kindern und dem unverheirateten Stiefsohn Jakob in diesem Haus, bis seine Leiche unter merkwürdigen Umständen am 23. Mai 1817 am Ufer der Weser in Höxter gefunden und hier auf dem (alten) jüdischen Friedhof am Grefenhagen begraben wurde.

Nach dem Tod Jentes ging das Haus an ihre Kinder und dann an Berend Steilbergs Sohn Jacob (* 1814) über, der es jedoch schließlich nicht mehr halten konnte, so dass es bei einer Zwangsversteigerung 1885 an den Höxteraner Kaufmann Moritz Steinberg fiel, der es noch im selben Jahr an den Ovenhäuser jüdischen Kaufmann Levi Uhlmann verkaufte. Dessen Sohn Norbert Uhlmann betrieb dort ein Kolonialwarengeschäft, bis es 1938 geschlossen werden musste und die Familie 1941 nach Riga deportiert wurde. Zur Familie Uhlmann siehe hier.

Nach verschiedenen Besitzerwechseln wurde das Haus schließlich nur noch als Abstellraum und Stall genutzt, bis es 1997 vom Westfälischen Freilichtmuseum erworben, 2000 nach Detmold transloziert und dort 2007 als Beispiel jüdischen Alltagslebens auf dem Lande wieder geöffnet werden konnte.

Der zweite Sohn Heinemann Seligmann [Archenhold]

Nennung des Vaters Heinemann als „todt“ bei der Heirat des Sohns Seligmann Heinemann 1821
Nennung des Vaters Heinemann als „todt“ bei der Heirat des Sohns Seligmann Heinemann 1821

Heinemann Salomon, Handelsmann, der zweite Sohn des Stammvaters Salomon Seligmann Archenhold, ist in den Quellen kaum fassbar, zumal er bereits vor 1808 starb und erst später bei der Heirat seiner Söhne mit dem Nachnamen Archenhold erscheint. Heinemann wurde etwa 1762 geboren und starb vermutlich 1800, denn sein Anfang 1801 geborener Sohn Heinemann erhielt offenbar seinen Namen, wie es in vielen jüdischen Familien beim Tod des Vaters häufig geschah.

Der in Amelunxen wohnende Heinemann, der bereits 1788 für Ovenhausen mit einem Vermögen von 1700 Rthlr. genannt wird, heiratete um 1790 die aus Lichtenau stammende Rachel (Rieke) Abraham (1765–1811) und hatte mit ihr die beiden noch im Amelunxen geborenen Söhne Seligmann Heinemann (1792–1870) und Simon Heinemann (1794–1858). Danach zog er mit der Familie als „Handelsmann“ nach Ovenhausen, wo dann die Söhne Soistmann Heinemann (* 1796) und Heinemann H. (1801) geboren wurden.

Die Familie Archenhold-Levy/Lewo 1809 im Synagogenbuch Ovenhausen
Die Familie Archenhold-Levy/Lewo 1809 im Synagogenbuch Ovenhausen

Nach dem frühen Tod ihres Mannes Heinemann heiratete seine Witwe Rachel wohl um 1803 den aus Peckelsheim stammenden Isaak Abraham Lewy (Lewo) (1763/65–1843), der ebenso wie die in dieser Ehe geborenen Kinder in den Quellen gelegentlich auch mit dem Bei- oder Nachnamen Archenhold erscheint. Das und die Tatsache, dass dieser Isaak Abraham Lewo nach dem Tod seiner Frau Rachel (1811) in zweiter Ehe die deutlich jüngere Eva Winterstein (1785–1832) aus Dringenberg heiratete und mit ihr weitere Kinder hatte, erschwert die Übersicht zusätzlich. Jedoch kann hier auf die Familie Lewo nicht weiter eingegangen werden.

Das Haus Ovenhausen Nr. 6 (Bosseborner Straße 13)
Das Haus Ovenhausen Nr. 6 (Bosseborner Straße 13)

Heinemanns ältester Sohn Seligmann Heinemann Archenholz (1792–1870) blieb in Ovenhausen und heiratete 1821 die aus Peckelsheim stammende Sara Levi Ovenstein/Obenstein (1803–1836), Pflegetochter des kinderlosen Ovenhäuser Schlächters und Gewürzhändlers Moses Kapenberg, der dort 1788 das Haus Nr. 6 (Bosseborner Straße 13) erbaut hatte, das dann in den Besitz der Pflegetochter überging.

Drei der vier Kinder starben jung, so dass die älteste Tochter Sara (* 1822) Besitzerin des Hauses wurde, bis sie 1868 mit ihrem Mann Joseph Guthmann und den Kindern 1868 nach Amerika auswanderte und das Haus an den Bürgermeister Rudolf Müller verkaufte.

Denn ihr Vater Seligmann Heinemann Archenholz hatte nach dem Tod seiner ersten Frau Sara 1838 die Ovenhäuserin Sophie Katz (1807–1841) geheiratet und hatte mit ihr zwei weitere in Ovenhausen geborene Kinder, von denen sich Sara (* 1839), die ältere, 1862 mit dem Lippstädter Menke Freudenberg verheiratete. Von der Tochter Bele ist nur das Geburtsdatum bekannt.

Die Familien von Heinemanns Söhnen Simon Heinemann und Soistmann Heinemann, bei denen die Namensform Archenholz dominiert, lassen sich schon wegen derselben Initialen nur schwer entwirren, zumal beide von Ovenhausen nach Höxter zogen, beide auch als Gelbgießer genannt werden und Kinder Soistmanns zeitweise bei dem offenbar kinderlosen Simon aufwuchsen. Darüber hinaus erscheint auch bei beiden eine Ehefrau mit Namen Betty.

Der Grabstein von Simon Archenhold auf dem jüdischen Friedhof in Höxter
Der Grabstein von Simon Archenhold auf dem jüdischen Friedhof in Höxter
Ein Fragment des Grabsteins von Betti Archenhold geb. Kaufmann
Ein Fragment des Grabsteins von Betti Archenhold geb. Kaufmann

Als erster zog wohl der ältere Simon Heinemann Archenholz (1794–1858) nach Höxter, wo er als Kaufmann von Stoffen und Kleidung mit eigenem Laden, gelegentlich auch als Gelbgießer, genannt wird und mit Betti Kaufmann (1799–1868) verheiratet war. Eine vorangehende Ehe mit einer Betty Blumenthal ist unsicher. Da die Ehe(n) kinderlos blieben, nahm er eine sonst nicht belegte Rahel Archenhold (* 1820/21) und dann den Sohn Abraham Albert (1831–1898) seines Bruders Soistmann in seinen Haushalt auf. Die zentrale Inschrift seines Grabsteins und ein ganz kleines Bruchstück des Grabsteins seiner Frau auf dem jüdischen Friedhof in Höxter sind erhalten.

Während Simon sich also auf das Kaufmannsgewerbe verlegte, arbeitete sein Bruder Soistmann Heinemann Archenholz (* 1796) als Gelbgießer, ein Handwerk, das er offenbar in der Werkstatt seines Onkels Israel Salomon Archenhold (siehe unten) in Holzminden erlernt hatte, wo er 1819 als Geselle genannt wird.

Als Beispiel der Geburtseintrag für den ältesten Sohn Hartwig, 25.3.1824
Als Beispiel der Geburtseintrag für den ältesten Sohn Hartwig, 25.3.1824

Bald danach zog er nach Höxter, wo er in der Folgezeit als Gelbgießer den Lebensunterhalt für sich, seine Frau Johanna (Hannchen) Rothgießer (1802–1837, wahrscheinlich aus Holzminden) und die Familie verdiente, die durch die von 1824 bis 1836 geborenen sechs Kinder anwuchs. Da die Kinder noch klein waren, heiratete Soistmann nach dem Tod Johannas 1837 die vielleicht aus einer Elbrinxer Familie stammende Betty Hirschfeld (1808–1868). Kleine Messinggegenstände aus seiner Produktion könnten noch heute in Haushalten in Höxter und der Umgebung erhalten sein.

Der Grabstein für Albert Archenhold in Bad Wildungen
Der Grabstein für Albert Archenhold in Bad Wildungen

Von den Kindern ist bekannt, dass der Sohn Herz (1826–1874) 1850 die in Bonn geborene Marianne Oppenheim (* 1830) heiratete und mit ihr und den beiden Kindern in Köln wohnte, während sein Bruder Abraham Albert (1831–1898) mit seiner 1865 geheirateten Frau Rosalie Levy (1838–1909) in Essen lebte und in Bad Wildungen starb, vermutlich während eines Kuraufenthalts.

Heinemann H. Archenhold (* 1801), jüngster Sohn des offenbar kurz vor seiner Geburt gestorbenen Heinemann, sollte anscheinend mit höherer Bildung Verbindungen nach außen schaffen und besuchte wohl deshalb die einige Jahrzehnte zuvor von Amelungsborn nach Holzminden verlagerte Klosterschule. In dieser Zeit dürfte er dort bei seinem Onkel Israel Archenhold gewohnt haben. Im Herbst 1818 verließ er die Schule in der Secunda, um dann im Mai 1819 nach Braunschweig ging, um dort nach einer „Handels-Condition“ zu suchen. Weiteres ist nicht bekannt.

Der dritte Sohn Jacob Salomon Archenhold

Jacob Salomon Archenhold (1764–1838), der dritte Sohn des Amelunxer Stammvaters Salomon Seligmann, heiratete die Lichtenauerin Jette Jacob (um 1769 – 1836) und zog ebenfalls nach Lichtenau, wo bereits seine Tante Kindel lebte und woher auch seine Schwägerin Rachel Abraham stammte. Seine über 100-köpfige Nachkommenschaft, von der mehr als zehn im Dritten Reich ermordet wurden, während noch mehr ins Exil flüchten mussten, kann hier nur an wenigen Beispielen dargestellt werden.

So hatte allein sein ältester Sohn Seligmann Jacob Archenhold (1795–1878), der das Geschäft des Vaters in Lichtenau übernahm, mit seinen vier Ehefrauen insgesamt 11 Kinder. Dessen ältester Sohn Moses Archenhold (1824–1899) übernahm das Geschäft des Vaters und erbte das Haus der Familie. Dieser hatte wiederum neun Kinder, von denen allerdings mehrere jung starben. Einige dieser Kinder lebten später in Berlin, wie etwa der Sohn Jacob (1853–1899), der dort dem Vorstand der Israelitischen Synagogengemeinde angehörte.

Friedrich Simon Archenhold an seiner <i>Himmelskanone</i>, Bundesarchiv, Bild 102-00179 / CC-BY-SA 3.0
Friedrich Simon Archenhold an seiner Himmelskanone, Bundesarchiv, Bild 102-00179 / CC-BY-SA 3.0

Nach Berlin ging auch Moses Archenholds Sohn (Friedrich) Simon Archenhold (1861–1939), der nach der Maturitätsprüfung in Lippstadt in Berlin und Straßburg studierte und 1891 als Astronom den Perseus-Nebel entdeckte. Auf der Grundlage seiner Planungen entstand dann im Zusammenhang der Gewerbeausstellung 1896 die Himmelskanone, das mit 21 m Brennweite bis heute längste Linsenfernrohr der Erde. Wegen des großen Publikumsinteresses wurde der Komplex in der Folgezeit als Volkssternwarte bekannt und trägt seit 1946 den Namen Archenhold-Sternwarte. Auch einer der kleinen Planeten ist nach ihm benannt.

Wegen des Bezugs zu Amelunxen und Höxter ist hier auch Jacob Seligmanns vierter Sohn Jacob Archenhold (1840–1921) zu nennen, denn er heiratete Regina Archenhold (1851–1912), eine Cousine zweiten Grades aus dem weiterhin in Amelunxen lebenden Zweig der Familie. Deren in Lichtenau geborene Tochter Julie Archenhold (* 1886) wiederum heiratete 1911 den Höxteraner Landhändler Siegmund Katz (* 1879), der in der Corveyer Allee 1 sein Geschäft hatte, bis die Familie 1923 nach Hannover verzog. Während ihre Tochter Irmgard (1912–2012) in die USA flüchten konnte und dort eine Familie gründete, wurden ihre Eltern 1941 nach Riga deportiert und ermordet.

Irmgard Horn (sitzend, links) 2004 bei der Hochzeit der Enkelin Juli
Irmgard Horn (sitzend, links) 2004 bei der Hochzeit der Enkelin Juli

Irmgard (inzwischen Horn), deren Enkelin Carrie 2006 zum Besuch nach Lichtenau, Amelunxen und Höxter kam, hielt bis zu ihrem Tod die Verbindung nach Ostwestfalen aufrecht und erinnerte sich gut an ihre Kindheit in Höxter und an die Familie Pins. Gern hätte sie noch 2008 an der Einweihung des Forums Jacob Pins teilgenommen, konnte die Reise aber mit 96 Jahren nicht mehr antreten. Siehe auch die Höxteraner Familien Katz.

Wenn auch die meisten der Nachkommen der verschiedenen Familien Archenhold im Laufe der Jahrzehnte aus Lichtenau verzogen, so war der Ort doch für mehr als 150 Jahre neben Amelunxen eine Art Mittelpunkt. Selig(mann) Archenhold wohnte 1831 im Haus Nr. 28, Isaak Archenhold in Nr. 68, und Louis Archenhold, der auch in Höxter ein Haus besaß, betrieb in der Weimarer Republik in der Langestr. 16 ein Geschäft mit Manufaktur-, Kurz- und Wollwaren, bis er im Dritten Reich nach Riga deportiert und ermordet wurde.

Aber das 1850 von Moses Archenhold gekaufte und heute sensibel restaurierte Haus in Lichtenau, Langestr. 22 ist in den vergangenen Jahren wieder zu einer Art Treffpunkt der Familie geworden, und dort haben auf Einladung des heutigen Besitzers in der jüngeren Vergangenheit mehrfach Familientreffen der Archenholds stattgefunden.

Das Haus von Selig Archenhold auf einem alten Foto und das Haus von Moses Archenhold heute
Das Haus von Selig Archenhold auf einem alten Foto und das Haus von Moses Archenhold heute
Das Haus von Louis Archenhold und eine Geschäftsanzeige von 1926
Das Haus von Louis Archenhold und eine Geschäftsanzeige von 1926

Der vierte Sohn Kusel Salomon Archenhold

Todesurkunde für Kusel Archenholds mit fünf Wochen gestorbenen Sohn Meyer, 13.5.1810
Todesurkunde für Kusel Archenholds mit fünf Wochen gestorbenen Sohn Meyer, 13.5.1810

Kusel (Cußel, Carl) Salomon Archenhold (1767–1827), der vierte Sohn des Stammvaters Salomon Seligmann Archenhold, lebte als Handelsmann in Fürstenau Nr. 101, wo er mit der dort geborenen Hanne Judenberg (1781–1834) verheiratet war. Das Ehepaar hatte vier Kinder, von denen die drei älteren jedoch früh starben.

So blieb nur der jüngste Sohn Salomon Archenhold (1820–1888), der vermutlich bald nach dem Tod der Eltern aus Fürstenau fortging und 1844 mit seiner Heirat mit der in Halberstadt geborenen Henriette Friedrike Meyer (1808–1884) in ihren Geburtsort zog und dort (zumindest ab 1875) als Kleidermacher und Magazinbesitzer in der Schmiedestr. 8, ab 1881 dann im Haus Unter den Weiden 6 lebte und arbeitete. Es ist zu vermuten, dass er das Handwerk des Schneiders bereits in Fürstenau erlernte.

Wie ihr Vater Salomon wurden auch die Nachkommen im Bekleidungsgewerbe tätig. Die Tochter Henriette (1847–1912) war mit dem Halberstädter Handschuhmacher Abraham Heller verheiratet, der um die Jahrhundertwende das Haus Unter den Weiden 6 erwarb, und lebte dort nach dem Tod ihres Mannes mit ihrer ledigen Schwester Pauline (1850–1935).

Afred Archenhold mit den Geschwistern Johanna und Paul bei einem Besuch
Afred Archenhold mit den Geschwistern Johanna und Paul bei einem Besuch

Dagegen zog ihr Bruder Carl Archenhold (1846–1925) mit seiner aus Kattowitz stammenden Frau Jenny Ahlfeld (1852–1936) in das nahe Egeln und wurde dort Inhaber eines Ledergeschäfts und einer Lotterievertretung. Ihr Sohn Alfred Archenhold (1875–1955) wanderte 1894 nach Neuseeland aus, wo seine Nachkommen noch heute leben, und der Sohn Max Archenhold (1880–1950) konnte sich mit seiner Frau Bertha Bernstein (✡ 1957) 1939 nach England retten, während ihre Kinder nach Südamerika und Palästina emigrierten.

Dagegen wurden die beiden anderen Kinder Carl Archenholds im Dritten Reich ermordet. Die mit Erich Philipp verheiratete Tochter Johanna (Hänschen) (1873–1942) wurde nach Theresienstadt deportiert und ermordet. Ihr Bruder Paul Archenhold (1877–1943), der mit seiner Frau Fanny Hamburger (* 1880) in Chemnitz ein Schuhgeschäft betrieben hatte, wurde mit ihr ebenfalls nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet, seine Frau 1944 in Auschwitz.

Der fünfte Sohn Isaac Salomon Archenhold

Nachruf auf Isaak Archenhold, Allgemeine Zeitung des Judentums, 24.11.1845
Nachruf auf Isaak Archenhold, Allgemeine Zeitung des Judentums, 24.11.1845

Nur wenig ist über Isaac Salomon Archenhold (1772–1845) bekannt, den fünften Sohn des Stammvaters Salomon Seligmann. Er heiratete die Lichtenauerin Julie Abraham (um 1776 – 1844), vielleicht eine Schwester von Rachel Abraham, die seinen Bruder Heinemann geheiratet hatte. Das Paar hatte drei Töchter, von denen nur die Namen bekannt sind, und lebte in Lichtenau im Haus Nr. 61, das am 31.10.1831 bei einem großen Brand in der Stadt so schwer beschädigt wurde, dass Isaac Archenhold mit 1500 Rthlr. eine der höchsten Entschädigungen erhielt.

Belegt ist weiterhin, dass Isaac Archenhold 1815 beim Paderborner Landtag zu den Delegierten gehörte. In Lichtenau war er angesehen und diente der Stadt auch als Beigeordneter des Bürgermeisters. Außerdem gehörte dem örtlichen Schützenverein an, und fast alle Schützen folgten seinem Sarg bei der Beerdigung mit der mit Trauerflor umhüllten Schützenfahne.

Der sechste Sohn Soistmann Salomon Archenhold

Paderbornsches Intelligenzblatt, 1829 (mehrfach)
Paderbornsches Intelligenzblatt, 1829 (mehrfach)

Nur Soistmann Salomon Archenhold (1775–1824), der sechste Sohn des Stammvaters Salomon Seligmann, blieb weiterhin in Amelunxen, wo er mit seiner aus Albaxen stammenden Frau Zerle (Sara) Katz (1781–1861) sechs Kinder bekam. Wegen der weit über 200 bisher ermittelten Nachkommen ist auch hier eine weitgehende Beschränkung auf den Raum um Amelunxen und Höxter unumgänglich, zumal die drei Söhne in Amelunxen eigene Familien gründeten.

Eine Tochter starb als Kleinkind, und eine andere blieb unverheiratet, während die jüngste Tochter Peschen (Betty, Zerlikle) (1821–1898) mit dem in Nordborchen geborenen Bendix Meyerhoff (1811/1817–1896) fünf Kinder hatte, von denen bisher nur bekannt ist, dass die vierte Tochter Lisette (1858–1956) ihren Cousin Siegmund Soistmann heiratete und mit ihm nach Waco (Texas) auswanderte. Das Ehepaar lebte zunächst in Salzkotten und später in Geseke, wo beide auch begraben sind.

Das Grabmal für Siegmund und Lisette Archenhold in Waco
Das Grabmal für Siegmund und Lisette Archenhold in Waco

Soistmann Salomons Sohn Samuel Archenhold (1812–1865) hatte nur wenig Grundbesitz in Amelunxen und verdiente das Einkommen als Drechsler. Er hatte mit seiner aus Kassel stammenden Frau Rose (Röschen) Adler (✡ 1872) zwei Söhne. Über ihren Sohn Nathan (* 1850) ist nichts bekannt.

Mitglieder Familie Archenhold im Telefonbuch in Waco, 1902/03
Mitglieder Familie Archenhold im Telefonbuch in Waco, 1902/03

Der ältere Sohn Siegmund Soistmann (1847/48–1917) ging dagegen bald nach der Heirat mit seiner Geseker Cousine Lisette Meyerhoff (1858–1956) um 1875 nach Amerika, wo er in Waco, Texas, mit einem Spirituosen- unf Tabakwaren-Großhandel ein wohlhabender und angesehener Geschäftsmann wurde und auch dem Vorstand mehrerer Unternehmen angehörte. Sechs Kinder wurden in Waco geboren, deren Nachkommen noch heute in den USA leben.

Neue Westfälische, 10.11.1990
Neue Westfälische, 10.11.1990

Ebenso wie Samuel Archenhold blieben auch dessen Brüder Seligmann Soistmann und Salomon Soistmann in Amelunxen, und auf sie oder ihre Söhne dürften sich zwei kleine Anekdoten beziehen, die alte Leute noch nach dem Zweiten Weltkrieg in Amelunxen erzählten. Zugleich erfährt man daraus, dass die Archenholds ihr Einkommen wie viele andere Juden als Hausierer und fliegende Händler mit den verschiedensten Haushalts- und Töpferwaren, Porzellan, Bürsten, Seife, Schuhcreme usw. erwarben und dass Nichtjuden sie auch manchmal wegen ihrer Speisegesetze verulkten.

Beide Brüder lebten offenbar wie schon die Vorfahren in gesicherten Verhältnissen. Salomon (1816–1892), der jüngere, heiratete 1841 die ebenfalls in Amelunxen geborene, gleichaltrige Julie Neustadt (* 1816) und zog ebenfalls in ihr Elternhaus in Amelunxen Nr. 128.

Der Grabstein für Bethy Königheimer geb. Archenhold in Brakel
Der Grabstein für Bethy Königheimer geb. Archenhold in Brakel

Ihre beiden Töchter Pesgen und Bertha blieben in der näheren Umgebung. Pesgen (1844–1879) lebte mit ihrem Mann Meyer Königheimer (1834 – 1912) im nahen Erkeln und starb wie ihre in Helmarshausen mit Joseph Wertheim verheiratete Schwester Bertha (1848–1880) mit nicht einmal 40 Jahren. Aus den Ehen gingen keine Kinder hervor. Salomons Sohn Levi Archenhold (1858–1930) zog nach seiner Heirat mit der in Bünde geborenen Regina Rosenwald (1859–1938) ebenfalls nach Bünde und war dort 1913/14 Inhaber einer Zigarrenfabrik. Seine Frau Regine emigrierte 1936 als Witwe mit ihrer noch in Amelunxen geborenen und später in Dassel mit Emil Rothenberg (1873 – ca. 1932) verheirateten, ebenfalls verwitweten Tochter Julia (1887–1976) und deren drei Söhnen in die USA.

Seligmann Archenhold und seine zweite Frau Amalie geb. Rosenstein
Seligmann Archenhold und seine zweite Frau Amalie geb. Rosenstein

Seligmann Soistmann (1807–1894), der älteste Sohn Salomon Soistmanns, erbte das elterliche Haus und setzte das Gewerbe des Vaters in Amelunxen fort. Er heiratete 1847 die in Borgholz geborene Julchen Rosenstein (1824–1851) und nach ihrem frühen Tod bald nach der Zwillingsgeburt zweier Kinder 1855 ihre Schwester Amalie (Malchen) Rosenstein (1821–1895). Neun Kinder gingen aus den beiden Ehen hervor, von denen drei aber früh starben. Alle anderen zogen aus Amelunxen fort, so dass die hier für mindestens 160 Jahre ansässige Familie Archenhold nach dem Tod der Elterngeneration 1895 in Amelunxen erlosch.

Die Tochter Regina (1851–1912) heiratete ihren Lichtenauer Vetter zweiten Grades Jacob Archenhold (1840–1921) (s.o.), während die Tochter Lina (* 1864) in Enger mit dem Herforder Emil Isaaksohn (* 1868) verheiratet war.

Ihren vier Söhnen versuchten die Eltern von Anfang an die besten Voraussetzungen zu schaffen, wohl auch damit sie das kleine Dorf Amelunxen verlassen konnten, um sich woanders ihr Leben aufzubauen, und sie alle besuchten nach der Volksschule in Amelunxen das gerade erst gegründete Gymnasium in Höxter, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg.

Der älteste Sohn Sali Archenhold (* 1856) heiratete die Essenerin Ines Lilienfeld (* 1866). Die Ehe blieb kinderlos. Um 1900 betrieb er mit seinem Bruder Salomon in Ehringshausen eine Wurstmaschinenfabrik, aus der im Ersten Weltkrieg eine Munitionsfabrik wurde. 1924 wurde die Firma nach Frankfurt verlagert und war dort später Zwischenhändler von Krupp.

Während die Ehe Sali Archenholds anscheinend kinderlos blieb, konnten sich die beiden Kinder seines Bruders Salomon Archenhold (1859–1930), der die Höxteranerin Helene Katz (1878 – 1939(?)) geheiratet hatte, im Dritten Reich mit ihren Familien in die USA retten, woran sicher auch Verwandte ihren Anteil hatten. Denn in Waco (Texas) lebten bereits seit dem 19. Jahrhundert mehrere Familienangehörige.

Salis Bruder Moritz Archenhold (1857–1921) war mit dem Zeugnis der einjährig freiwilligen Reife zunächst nach Hannover gegangen und dann in den Rhein-Main Raum gezogen. 1882 wanderte er nach Waco (Texas) aus, wo bereits der oben genannte Vetter Siegmund Archenhold als Whisky- und Tabakhändler lebte. 1887 heiratete Moritz die ebenfalls aus Deutschland stammende Lisette Kupfer (1859–1912), und 1892 wurde er amerikanischer Staatsbürger.

Passantrag Moritz Archenholds für sich und angeheiratete Cousine Lisette, 13.2.1920
Passantrag Moritz Archenholds für sich und angeheiratete Cousine Lisette, 13.2.1920

Moritz Archenhold betrieb in Waco ein eigenes Großhandelsgechäft mit Tabak und Alkoholika und hielt in den folgenden Jahrzehnten mit häufigen Geschäftsreisen die Verbindung nach Deutschland aufrecht. Seine Frau starb auf einer dieser Geschäftsreisen 1912 in Wiesbaden, und auch ein Sohn starb auf einer Deutschlandreise, so dass er etwa 1920 mit seiner angeheirateten Cousine Lisette geb. Meyerhoff (1858–1956) nach Deutschland fuhr, der Witwe seines Vetters Soistmann Siegmund gen. Adolph (1847–1917), Sohn des oben genannten Drechslers Samuel Archenhold.

Über den jüngsten Bruder Siegmund Archenhold (1868–1893) ist nur bekannt, dass er nach dem Besuch des Höxteraner Gymnasiums 1884 ebenfalls nach Waco, Texas, auswanderte. Er arbeitete sicher im Geschäft der Verwandten, starb aber mit nicht einmal 25 Jahren. Verschiedene Nachkommen der nach Waco ausgewanderten Angehörigen der Familie Archenhold leben jedoch noch heute dort.

Der siebte Sohn Israel Salomon Archenhold

Israel Salomon Archenhold (1780–1841), der jüngste Sohn des Stammvater Salomon Seligmann, hat weniger Spuren und Nachkommen hinterlassen als die meisten seiner Brüder. Offenbar ging er zunächst nach Steinheim und zog dann 1807 bei seiner Heirat mit der Holzmindenerin Hanna (Hindel) Mathias Ransohoff (1784–1819) ebenfalls dorthin. 1819 legte er in Holzminden den Bürgereid ab. Im selben Jahr starb seine Frau, und er heiratete die aus Nieheim stammdende Helena/Helene Michaelis (1799–1851).

In Holzminden trat er in den Großhandel seines Schwiegervaters Bendix Abraham Leifmann ein, der dort ein Bankgeschäft und einen Münzhandel betrieb und dem seit 1793 das ehemalige Haus des Grafen Rantzau in der Weberstraße 9 gehörte, so dass Israel Archenhold mit seinem Vermögen zu den wohlhabenden Bürgern zählte, zumal er in der Folgezeit offenbar auch im Gelbgießergewerbe tätig wurde.

Während Israel Archenholds Geschäfte als Großhändler in den folgenden Jahren gut liefen und er unter den Holzmindener Juden die höchsten Steuern zahlte, entwickelte sich die familiäre Situation weniger erfreulich. Die beiden Söhne aus der zweiten Ehe starben nach wenigen Monaten, und Thekla (1810–1836), die Tochter aus der ersten Ehe, die den aus der Familie ihrer Stiefmutter stammenden Siegmund Michaelis (1804–1863) in Lügde geheiratet hatte, starb ein Jahr nach der Geburt ihrer Tochter Hanna (* 1835) mit nicht einmal 25 Jahren.

Nach dem Tod ihres Mannes Israel Archenhold zog seine Frau Helene wieder zu ihrer Familie nach Nieheim, setzte aber 1846 ein umfangreiches Testament auf, in dem sie neben Verwandten auch mehrere Armenfonds bedachte und einen Anteil auch für die Pflege der vier Familien-Grabsteine auf dem alten jüdischen Friedhof in Holzminden festsetzte.

[1] Vgl. dazu Horst-D. Krus: Mordsache Soistmann Berend. Zum historischen Hintergrund der Novelle ›Die Judenbuche‹ von Annette von Droste-Hülshoff. Münster, Aschendorff, 1990.
[2] 1885 kaufte der Lumpensammler und spätere Kaufmann Levy Uhlmann das Haus. Seit 2000 befindet es sich im Freilichtmuseum Detmold. Siehe dazu die entsprechenden Beiträge in dem von Stefan Baumeier und Heinrich Stiewe herausgegebenen Band Die vergessenen Nachbarn. Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen. Bielefeld, Verlag für Regionalgeschichte, 2006.

Fritz Ostkämper, 30.10.2016
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