Jüdische Bürger in Höxter

Die Beverunger Familie Rubensohn und ein kurzzeitiger Ableger in Höxter

Als früheste bekannte Vorfahren der Beverunger Familie Rubensohn lassen sich ein Ruben Jacob und seine Frau Rachel Abraham in Hennen (Iserlohn) ermitteln. Während sich der Sohn Simon (1768–1843) 1799 nach Jülich verheiratete und den dortigen Zweig der Familie begründete, die bis ins Dritte Reich in Jülich ansässig war, zog der ältere Bruder Jacob (1762–1848) um 1791 nach Beverungen, wo er 1808 ebenso wie sein Bruder Simon in Jülich 1808 den Familiennamen Rubensohn annahm. Ob auch ein 1812 in Beverungen als Hauslehrer genannter Gumpert Rubensohn (* 1795) ein Verwandter war, ist ungeklärt.

Nach der Familienfama suchte der in Beverungen als „Treppenherz“ bekannte Rabbi Naphtali Herz Simon für seine Tochter Liba (Libbe) einen Ehemann und bat den Leiter der Talmudschule in Düsseldorf um einen jungen Mann mit der Ausbildung im Talmud. So kam der frisch ausgebildete Jacob Hennen als Prediger (nach der Familienerinnerung als Rabbi) der jüdischen Gemeinde um 1791 nach Beverungen, und die Heirat fand statt.

Jacob „Hennen“ Rubensohn (Gemälde), © Leo Baeck Institut *
Jacob „Hennen“ Rubensohn (Gemälde), © Leo Baeck Institut *

Jacob Hennen, der 1808 den Namen Rubensohn annahm, wurde Prediger der mit 132 (1803) Mitgliedern großen jüdischen Gemeinde in Beverungen (9 % der Einwohner), die 1795 sogar das bisher als Synagoge gepachtete Gebäude als Eigentum erwerben konnte. Offenbar versah er sein Amt bis 1811, denn in diesem Jahr wurde der spätere westfälische Oberrabbiner Abraham Sutro als jüdischer Lehrer in Beverungen angestellt, und Jacob Rubensohn verlegte sich auf das Kaufmannsgewerbe, wo er mit Leinen- und Ellenwaren handelte und 1833 auch als Kolonialwarenhändler genannt wird.

Mit seiner ersten Frau Libbe Herzen (✡ um 1804/07) und der nach ihrem Tod geheirateten zweiten Frau Hindche (Johanna Leonore Samuel) Benjamin (1786–1855) aus Gelnhausen hatte Jacob Rubensohn zehn Kinder, deren Leben ebenso wie das ihrer Nachkommenschaft hier jedoch nur mit weitgehender Beschränkung auf die auch in der Folgezeit in Beverungen (und Höxter) wohnenden Familienangehörigen dargestellt werden kann.

Die Grabsteine von Jacob Rubensohn und seiner zweiten Frau Johanna auf dem jüdischen Friedhof in Beverungen, @ Leo Baeck Institut *
Die Grabsteine von Jacob Rubensohn und seiner zweiten Frau Johanna auf dem jüdischen Friedhof in Beverungen, @ Leo Baeck Institut *

Moses Rubensohn und seine Nachkommen.

Das Wohn- und Geschäftshaus von Moses Rubensohn in Beverungen, © Leo Baeck Institut *
Das Wohn- und Geschäftshaus von Moses Rubensohn in Beverungen, © Leo Baeck Institut *

Für den Sohn Moses Jacob Rubensohn (1803–1873) aus der ersten Ehe kaufte der Vater ein Haus, in dem dieser in den folgenden Jahrzehnten ein nach Familienerinnerungen nicht besonders erfolgreiches Haushaltswaren- und Kolonialwarengeschäft betrieb, das aber für Jahrzehnte im Besitz der Familie verblieb. Moses Rubensohn war mit der aus Hanau stammenden Jeanette Wiesenheim (1805–1877) verheiratet, im Unterschied zu ihrem zurückhaltenden Mann wohl eine energische und zupackende Frau.

Die beiden hatten fünf Kinder, von denen Meier (1830–1881), der älteste Sohn, in Beverungen blieb, sicher das Geschäft seines Vaters übernahm und mit seiner Frau Bertha Rosenbaum verw. Himmelstern (1835–1906) drei Kinder hatte, von denen nur bekannt ist, dass der jüngste Sohn Moritz (1874–1910) nach Südafrika auswanderte.

Hermann und Rosa Rubensohn 1863 nach ihrer Heirat, © Leo Baeck Institut *
Hermann und Rosa Rubensohn 1863 nach ihrer Heirat, © Leo Baeck Institut *

Moses Rubensohns jüngerer Sohn Herz gen. Hermann (1837–1919), verheiratet mit der in Kassel geborenen Rosa Herrlich (1838–1931), wurde ein besonders erfolgreicher Geschäftsmann. Das junge Paar ließ sich zunächst in Beverungen nieder, verkaufte Kleie zur Viehfütterung und verlegte sich immer mehr auf den Handel mit indischer Jute und Juteprodukten (Futtersäcke usw.), bis Hermann Rubensohn mit seiner Familie schließlich 1868 nach Kassel zog und dort eine eigene Jutespinnerei gründete, mit der die Familie zu ansehnlichem Wohlstand gelangte, so dass er dort auch die Funktion eines Handelsrichters bekleidete.

Drei der sechs Kinder starben in jungen Jahren, während sich die anderen im Dritten Reich ins Exil retten konnten. Sie alle lebten nicht mehr in Beverungen. Während der Sohn Ernst (1873–1951) die Fabrik des Vaters übernahm, gründete der Sohn Emil eine eigene Wollwäscherei(1). Besonders zu nennen ist aber der zweite Sohn Otto Rubensohn (1867–1964), der nach dem Studium der Klassischen Philologie und Archäologie und der Promotion als Gymnasiallehrer arbeitete und dann in den Jahren 1897 bis 1907 im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts zahlreiche Ausgrabungen in Griechenland und in Ägypten leitete.

Otto Rubensohn (rechts) um 1905 in Ägypten mit einem Besucher vor dem Grabungszelt
Otto Rubensohn (rechts) um 1905 in Ägypten mit einem Besucher vor dem Grabungszelt

Drei der sechs Kinder starben in jungen Jahren, während sich die anderen im Dritten Reich ins Exil retten konnten. Sie alle lebten nicht mehr in Beverungen. Während der Sohn Ernst (1873–1951) die Fabrik des Vaters übernahm, gründete der Sohn Emil eine eigene Wollwäscherei(1). Besonders zu nennen ist aber der zweite Sohn Otto Rubensohn (1867–1964), der nach dem Studium der Klassischen Philologie und Archäologie und der Promotion als Gymnasiallehrer arbeitete und dann in den Jahren 1897 bis 1907 im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts zahlreiche Ausgrabungen in Griechenland und in Ägypten leitete.

1911 wurde er Direktor des Pelizäus Museums in Hildesheim, schied aber 1914 wegen der Beschränkungen durch den Krieg aus und arbeitete bis zu seiner Pensionierung wieder als Lehrer. Im Dritten Reich emigrierte er 1939 mit seiner Frau Frieda Oppler (1878–1971) in die Schweiz, wo die Tochter Käte (1914–1998) studierte(2), die als Jüdin in Deutschland ihre Studien nicht hätte abschließen dürfen. In Basel, wo Otto Rubensohn seine Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig erneuern musste, konnte er sich im Archäologischen Seminar einen Arbeitsplatz einrichten und arbeitete unermüdlich weiter an seinen wissenschaftlichen Forschungen und Publikationen. Er starb 1964 in seinem Urlaubsort Höchenschwand im Schwarzwald.

Herz (Hermann) Jacob Rubensohn und seine Nachkommen

Ebenso wie Moses Rubensohn blieb auch sein Bruder Herz gen. Hermann Rubensohn (1804–1854) in Beverungen, wo er als nicht besonders erfolgreicher Uhrmacher arbeitete. Er war seit 1835 mit Bele Levisohn Heilbronn (1795–1869) verheiratet und hatte mit ihr den Sohn Emanuel gen. Mendel (1836 – um 1918), der in die Fußstapfen seines Vaters trat und ebenfalls ein wenig erfolgreicher Uhrmacher wurde. Vermutlich nach seiner Heirat (1862) zog er mit seiner aus Kassel stammenden Cousine Adelheid Herrlich (* 1842) nach Höxter, wo in den folgenden Jahren fünf Kinder geboren wurden, bis die Familie dann 1873 nach Kassel verzog. Bis 1909 erscheint er dort im Adressbuch als Uhrmacher und ist in den folgenden Jahren dann als (vermutlich verwitweter) „Privatmann” verzeichnet.

Während zwei der Töchter jung starben, lebte die dritte Tochter Lina (* 1866) bis ins Dritte Reich unverheiratet in Kassel und wurde von dort am 7.9.1942 nach Theresienstadt und dann zur Ermordung nach Treblinka deportiert. Die beiden (älteren) Söhne entgingen diesem Schicksal, denn sie starben bereits vorher. Beide besuchten für wenige Jahre nach der Vorschule des Gymnasiums das König-Wilhelm-Gymnasium in Höxter, Hermann (1863–1929) für eineinhalb Jahre und Max (1864–1913) nur für ein halbes Jahr.

Eintrag für Hermann Rubensohn 1910 im Berliner Adressbuch
Eintrag für Hermann Rubensohn 1910 im Berliner Adressbuch

Denn im Herbst 1873 verzog die Familie nach Kassel, wo Hermann eine Realschule besuchte und dort dann ab 1882 selbständig gemeldet war. 1894 ging er nach Berlin und gründete dort 1901 ein Geschäft für Kleie, Nahrungs- und Genussmittel, das bis Ende der 1920er Jahre bestand. Er heiratete vermutlich eine Paula Glück, über die jedoch nichts Weiteres bekannt ist, ebensowenig wie Einzelheiten über Hermann Rubensohns weiteres Leben. Er starb 1929 in Berlin.

Der auf Latein verfasste Lebenslauf Max Rubensohns in seiner Dissertation, 1887
Der auf Latein verfasste Lebenslauf Max Rubensohns in seiner Dissertation, 1887

Mehr bekannt ist dagegen über seinen jüngeren Bruder Max Rubensohn (1864–1913). Er wechselte nach dem Umzug der Familie nach Kassel dort auf ein Realgymnasium und dann zur Oberstufe auf das hoch angesehene Friedrich-Gymnasium (Fridericianum), das z.B. auch die Brüder Grimm besucht hatten. Dort erhielt er 1883 sein Reifezeugnis und studierte dann auf Anregung und Wunsch seines Onkels Samuel Herrlich (Altphilologe) in Berlin Klassische Philologie, Geschichte und Germanistik. So besuchte er unter anderem auch Vorlesungen der berühmten Professoren Wilhelm Dilthey, Heinrich von Treitzschke, Theodor Mommsen, Wilhelm Scherer und anderen.

Schulamtliche Karteikarte über das Probejahr Max Rubensohns als Lehrer am Viktoria-Gymnasium in Potsdam, 1887/88
Schulamtliche Karteikarte über das Probejahr Max Rubensohns als Lehrer am Viktoria-Gymnasium in Potsdam, 1887/88

Nach seiner Promotion über griechische Epigramme(3) im Herbst 1887 und seiner Prüfung für das höhere Lehramt 1888 absolvierte er 1890/91 am Victoria-Gymnasium in Potsdam ein Probejahr als Lehrer, schied aber dann aus dem Schuldienst aus. Er war Mitglied der Gesellschaft für deutsche Litteratur und finanzierte sein Leben in den folgenden Jahren als Privatgelehrter und Journalist in Berlin durch seine verschiedenen Veröffentlichungen und offensichtlich auch durch Privat- und Nachhilfeunterricht in den Sprachen Griechisch und Latein.

Max Rubensohn: Studien zu Martin Opitz, 2005
Max Rubensohn: Studien zu Martin Opitz, 2005

Neben den von Max Rubensohn herausgegebenen und ausführlich kommentierten Übersetzungen griechischer Epigramme in der frühen Neuzeit(4) sind vor allem seine Veröffentlichungen über die Zeit des frühen Barock zu nennen, denn in den Jahren 1895 bis 1899 veröffentlichte er mehrere Arbeiten über den jungen Opitz und andere in der Zeitschrift Euphorion, die wegen ihrer auch heute noch aktuellen Bedeutung 2005 zu einem Buch zusammengefasst und unter dem Titel Studien zu Martin Opitz neu herausgegeben wurden. Dazu kam eine ganze Reihe kleinerer Veröffentlichungen, so etwa über das Verhältnis der Sturm und Drang-Autoren Schiller und Lenz, über ein von ihm entdecktes Bildnis des jungen Schiller, über den vorbarocken Dichter Ernst Schwabe von der Heyde bis hin zur Beschäftigung mit der Tachygraphie, einem Kurzschriftsystem des griechischen Altertums.

Vater und Sohn 1912 im Adressbuch von Kassel
Vater und Sohn 1912 im Adressbuch von Kassel
Eintrag für Max Rubensohn, Lehrer der alten Sprachen, 1901 im Berliner Adressbuch
Eintrag für Max Rubensohn, Lehrer der alten Sprachen, 1901 im Berliner Adressbuch

1901 zog Max Rubensohn aus Berlin fort (vielleicht nach Hannover) und ging dann 1908 oder 1909 nach Kassel, wo er mit seinem vermutlich verwitweten Vater Emauel zusammenlebte. Dort starb er 1913.

Der Kabbalist Benjamin Jacob Rubensohn

Noch ein dritter Sohn des ersten Jacob Rubensohn ist in Beverungen verzeichnet. Dieser Benjamin Jacob Rubensohn (1809–1872(?)) war ein Vertreter der Kabbala, einer mystischen Tradition des Judentums, der anscheinend auch die Vorfahren seiner Mutter nahe gestanden hatten, einer Tradition, die durch die jüdische Aufklärung (Haskala) um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert weitgehend verschwunden war. Noch 1869 veröffentlichte Benjamin Rubensohn in der orthodoxen jüdischen Wochenzeitung »Der Israelit« einen Artikel zur Verteidigung der Kabbala.

Paderbornsches Intelligenzblatt, 23.3.1842
Paderbornsches Intelligenzblatt, 23.3.1842

Über Benjamin Rubensohns Leben ist nur bekannt, dass er (vermutlich 1842) die aus Witzenhausen stammende Lea Löwenthal heiratete, wo sein Bruder Levi (1808–1860) verheiratet war. Über Benjamins fünf Kinder liegen außer den Geburtsdaten keine Informationen vor.

*Die ersten fünf Fotos: © Courtesy of the Leo Baeck Institute New York
(1) Viele der Informationen über die ›Frühgeschichte‹ der Familie Rubensohn sind den im Leo Baeck Institute online zugänglichen Memoiren „The Halos and Rubensohns von Emil Rubensohns Tochter Gertrude verh. Halo entnommen.
(2) Käte Rubensohn war von 1934 bis 1939 mit Max Frisch befreundet, der sie 1936 heiraten wollte, was Käte jedoch ablehnte (vgl. auch die Hanna in Max Frischs ›Bericht‹ „Homo Faber“).
(3) Crinagorae Mytilenai Vita et Epigrammata. Particula Prior. Berlin, 1887.
(4) Griechische Epigramme und andere kleinere Dichtungen in deutschen Übertragungen des XVI. und XVII. Jahrhunderts […]. Weimar, 1897.

Fritz Ostkämper, 19.9.2016
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de