Jüdische Bürger in Höxter

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Jüdische Schulen in Höxter

Erste Andeutungen auf eine jüdische Schule in Höxter finden sich 1629, als der Schulmeister zu einer Zahlung eines Bruchtgeldes verurteilt und aufgefordert wurde, das Beiwohnungsrecht zu erwerben. 1661 sollte die Schule aufgehoben werden, wogegen sich der Jude Gottschalck in einem Ersuchen an den Rat wehrt. Der historischen Situation entsprechend kann es sich dabei nur um eine vor allem religiöse Schule gehandelt haben, in der zugleich auch grundlegende Fertigkeiten wie Rechnen, Schreiben und Lesen vermittelt wurden; denn ein staatliches Schulwesen existierte im 17. Jahrhundert noch nicht.

Wohl deshalb auch liegen für lange Zeit bisher keine weiteren Informationen über eine jüdische Schule in Höxter vor. Auch im 19. Jahrhundert nach der allmählichen Einführung der Schulpflicht in den deutschen Staaten ändert sich das nur langsam. So geht die Schulordnung für die Stadt Höxter von 1806 zwar neben den protestantischen auch auf die katholischen Schüler ein, enthält aber noch keine Hinweise auf die Kinder der jüdischen Familien (HVV 1+2/1990), die zu diesem Zeitpunkt ja noch mindere Rechte hatten und ohne Bürgerrecht waren. Anscheinend wurden sie wie die anderen Kinder erst allmählich von der Schulpflicht nicht erfasst und und erhielten vorläufig weiterhin Unterricht durch einen jüdischen Lehrer.

Jacob Nordhaus: offizielle Mitteilung über das bestandene Lehrerexamen (1834)
Jacob Nordhaus: offizielle Mitteilung über das bestandene Lehrerexamen (1834)

Die Judenemanzipation förderte jedoch auch in Höxter die Bemühungen um eine eigenständige jüdische Schule. Als im Jahre 1834 das Gebäude der Synagoge an der Nagelschmiedstraße errichtet wurde, wurden im linken Teil gleichzeitig ein Unterrichtsraum und eine Wohnung für den jüdischen Lehrer eingerichtet. Als erster Lehrer wird im Jahre 1835 der aus Neheim (Regierungsbezirk Arnsberg) stammende Jacob Nordhaus genannt.

In den folgenden Jahrzehnten stellte der ohne staatliche oder städtische Unterstützung durchgeführte Schulunterricht die jüdische Gemeinde in Höxter immer wieder vor schwierige finanzielle Probleme, und als Jacob Nordhaus Höxter 1838 wieder verließ, konnte sich die Gemeinde in den folgenden zehn Jahren keinen staatlich geprüften Lehrer leisten. So übernahm der Höxteraner Ruben Hochfeld bis 1848 die religiöse Unterrichtung der Kinder. Er wohnte in dieser Zeit mit seiner Frau Händel in der Lehrerwohnung und war zugleich Vorsänger in der Synagoge. Die Zahl der Kinder der jüdischen Familien in Höxter belief sich Ende 1847 auf 18.

Erst 1849 und nun für die folgenden gut 50 Jahre konnte die Gemeinde wieder staatlich geprüfte Lehrer anstellen, die allerdings meistens nach wenigen Jahren in eine andere Stadt wechselten, wo die Bezahlung besser war. Insgesamt neun Lehrer gab es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, von denen nur der letzte, Isaak Weinberg, viele Jahre in Höxter unterrichtete.

Besuchten von 1848 bis 1858 regelmäßig etwa 20 jüdische Kinder die Schule, so sank ihre Zahl bis zum Ende des 19. Jahrhundert immer weiter herab, weil die Anzahl der jüdischen Kinder in Höxter zurückging und auch weil Eltern ihre Kinder zu den anderen Schulen der Stadt schickten und sie nur noch am jüdischen Relgionsunterricht teilnehmen ließen.

Ein Abschnitt des 1854 in Kraft getretenen Statuts der Synagogengemeinde regelte das Unterrichtswesen. Danach war eine Elementarschule zu unterhalten, für die die Eltern schulpflichtiger Kinder Schuldgeld bezahlen mussten. Der Lehrer musste zudem befähigt sein, in jüdischer Religion zu unterrichten, und zugleich sollte er in der Synagoge das Amt des Vorbeters und Vorsängers übernehmen, da die Gemeinde sich einen eigenen Rabbiner nicht leisten konnte.

Zahlreiche Hinweise in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machen deutlich, dass die Synagogengemeinde Höxter versuchte, ihr Schulwesen sorgfältig und den staatlichen Anforderungen gemäß zu organisieren. So rief etwa Jacob Heinemann Eichwald als Vorsteher der jüdischen Gemeinde den Bürgermeister um Maßnahmen an, weil ein Angehöriger der Gemeinde seinen Sohn schon ein halbes Jahr nicht mehr zum Unterricht schicke. Eine andere Klage ging vom Lehrer Selig Liepmannsohn ein. 1857 beschwerte sich der Lehrer Isaak Edelstein darüber, daß die beiden Kinder von Kaufmann Meyer Wittgenstein, die die öffentlichen Schulen besuchten, nicht am jüdischen Religionsunterricht teilnahmen. Wittgenstein wurde verpflichtet, wie später auch andere, die gesetzlichen Vorschriften zu erfüllen. Im Jahre 1885 wurde der Bauschullehrer Julius Paradies angezeigt, weil er seinen achtjährigen Sohn Theophil selbst unterrichtete; ebenso der Kaufmann Bernhard Marienthal, weil seine Tochter ihren Religionsunterricht in der Töchterschule, also einer christlichen Schule, erhielt.

Trotz aller Schwierigkeiten konnte die jüdische Schule bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ihre Existenz sichern, so lange es ausreichend Schüler gab. Hier schwanken die Zahlen stark: 1886 neun Schüler, 1892 fünfzehn Schüler und um 1900 insgesamt sechzehn Schüler (zehn Jungen und sechs Mädchen), wobei fünf Schüler aus Ovenhausen stammten. Wahrscheinlich im Jahre 1902 wurde die jüdische Elementarschule schließlich aufgelöst, und der letzte jüdische Lehrer in Höxter Isaak Weinberg, der 1887 als 24-Jähriger das Amt übernommen hatte, erteilte danach nur noch jüdischen Religionsunterricht, der einige Jahre später durch den Lehrer Selig Buxbaum aus Beverungen übernommen wurde.

Einen detaillierten Einblick in die Schule liefert eine Quelle in Form eines Lehrplans, der wahrscheinlich aus der Zeit nach der Jahrhundertwende stammt. Unterrichtet wurde damals in drei Stufen, wobei das 1. Schuljahr als Unterstufe und das 3. Schuljahr als Mittelstufe bezeichnet war. Daraus erhellt, dass die jüdische Schule in Höxter nur als Elementarschule (heute würde man sagen: Grundschule) existierte. Danach wechselten die Schüler auf öffentliche Schulen. Zeugnis vom Bildungsbewusstsein der Juden gibt dabei die Tatsache, dass die Jungen zumindest bis zum Ende der Schulpflicht oft das König-Wilhelm-Gymnasium besuchten. Entsprechendes scheint für die Mädchen zu gelten, aber die Akten der „Töchterschule“ sind noch nicht gesichtet.

Ablauf und Inhalte des Unterrichts an der jüdischen Schule orientierten sich an den öffentlichen Schulen. Unterrichtet wurden 28 Stunden, verteilt auf sechs Tagen: montags bis freitags sowie vier Stunden am Sonntag, da der Samstag (Sabbath) selbstverständlich unterrichtsfrei war. In so genannte „Pensenheften“ (den heutigen Klassenbüchern entsprechend) wurde der Unterrichtsstoff festgehalten.

Neben dem Unterrichtsfach Religion mit der Aufgabe, „der Jugend gründliche Kenntnisse auf dem Gebiet des jüdisch-religiösen Wissens beizubringen und sie hierdurch zu religiös-sittlichen Menschen heranzubilden“, nahm insbesondere das Fach Deutsche Sprache breiten Raum ein. Einleitend heißt es: „Auf allen Stufen des Unterrichts gebührt der deutschen Sprache eine hervorragende Berücksichtigung sowie die ausgedehnteste und sorgsamste Pflege, weil sie es ist, durch welche das geistige Leben der einzelnen Menschen in seiner Identität und Eigentümlichkeit am vollkommendsten zum Ausdruck gelangt und welche als Verkehrsmittel der Menschen untereinander einen durch nichts zu ersetzenden hohen Wert für das ganze Menschengeschlecht besitzt.“

Als weitere Unterrichtsfächer sind Schönschreiben, Rechnen und Realien (Geschichte, Geographie, Zeichnen und Gesang) genannt. Wahrend das Ziel beim Rechnen war, „die im bürgerlichen Leben vorkommenden Rechenaufgaben selbständig zu lösen“, lag das Hauptgewicht im Fach Geschichte bei der Heimatkunde und der Kenntnis des Vaterlandes, wobei „vaterländische Gedenktage und patriotische Gedichte im Geschichtsunterricht möglichst Berücksichtigung“ finden sollten.

Eine völlige Gleichberechtigung mit den öffentlichen Schulen konnte die jüdische Schule jedoch trotz allem offensichtlich nicht erlangen. Als der Lehrer Katz wegen zahlreicher Schulversäumnisse eine Bestrafung der Eltern eines Schülers verlangte, erhielt er den Bescheid, daß die jüdische Schule nicht als öffentliche Schule anzusehen sei und mithin darin vorkommende Schulversäumnisse nicht polizeilich geahndet werden konnten. Abschlägig beschieden wurde auch 1908 ein Gesuch der Synagogengemeinde an den Regierungspräsidenten in Minden „um staatliche Beihilfe zum Gehalt unseres Religionslehrers Weinberg“, das auch vom Magistrat dringend befürwortet wurde, „da die Gemeinde klein ist und ihrem Cultusbeamten nur ein geringes Einkommen gewähren kann. Weinberg ist dazu auch kränklich und kann keine weitere Beschäftigung ausüben.“ Wie der Landrat dann mitteilte, stünden zur Unterstützung jüdischer Religionslehrer Mittel nicht zur Verfügung.

Ein weiteres Gesuch aus dem Jahre 1911, die Stadt möge wegen des finanziellen Drucks auf die Synagogengemeinde die Kosten von 156 Mark für die „Pensionskasse zugunsten unseres Lehrers“ übernehmen, lehnte die Stadtverordnetenversammlung aus prinzipiellen Gründen ab.

Das minderte jedoch nicht die gesellschaftliche Anerkennung, der sich offensichtlich die Schule und ihre Lehrer erfreuten. Über die Beerdigung des letzten jüdischen Lehrers Isaak Weinberg, der fast 40 Jahre in Höxter tätig war, schrieb die Höxtersche Zeitung: „Das zahlreiche Trauergefolge, in welchem sich Vertreter aller Stände und Gesellschaftsschichten befanden, bewies am besten, daß der Verstorbene sich nicht nur in den Kreisen seiner Glaubensgenossen, sondern auch darüber hinaus in der gesamten Bürgerschaft ob seiner edlen Charaktereigenschaften großer Wertschätzung erfreute.“

Fritz Ostkämper, 1.12.2005
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de