Jüdische Bürger in Höxter

Klassenfoto der Quarta 1891 mit fünf jüdischen SchülernDie 1993 eingeweihte Gedenktafel für die ermordeten jüdischen Schüler des KWGGedenkveranstaltung am Auschwitz-Gedenktag 27.1.2011

Jüdische Schüler am König-Wilhelm-Gymnasium

Die folgende Darstellung entstand 1992 für die Festschrift zum 125-jährigen Bestehens des KWG und wurde 2019 aktualisiert. Vor allem die Zahlen über die Schicksale der ehemaligen jüdischen Schüler wurden nach dem aktuellen Kenntnisstand korrigiert. Einzelschicksale und Lebensbilder sind in eigenen Dateien dargestellt.

Jüdische Schüler im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

Das 1867 als evangelische Anstalt gegründete heutige König-Wilhelm-Gymnasium war von Anfang an für die Juden in Höxter eine willkommene Möglichkeit, ihren Kindern eine höhere Ausbildung zukommen zu lassen, als sie die bis Anfang des 20. Jahrhunderts existierende Jüdische (Elementar-)Schule und die weiterführenden Volksschulen boten. Schon unter den ersten 76 Schülern, mit denen Ostern 1867 der Unterricht am gerade eröffneten Progymnasium aufgenommen wurde, waren acht „Israeliten“, wie es in den Schulakten heißt. Und als Ostern 1875 die ersten Schüler am KWG ihr Abitur ablegten, war unter den drei Abiturienten gleich auch ein Jude, Alexander Himmelstern aus Beverungen, später Professor für Deutsch (also Gymnasiallehrer) in Baden.

Schüler KWG Bekenntnis

Die Zahl der Juden am KWG ist schwankend und spiegelt nur begrenzt den Bevölkerungsanteil der Juden in der Stadt Höxter wider. Auffällig sind vielmehr vor allem die Abweichungen. Der Anteil der jüdischen Schüler an der Gesamtschülerzahl lag bis zum Ende der 20er Jahre meistens ganz erheblich über dem Bevölkerungsanteil der Juden in der Stadt. Man hat fast den Eindruck, als hätten die jüdischen Familien so gut wie alle ihre (männlichen) Kinder zumindest für einige Jahre zum KWG geschickt. Die jüdischen Bürger wollten also ihrem Nachwuchs eine besonders gute Schulbildung angedeihen lassen, und sie hatten auch die Mittel dazu, denn sie gehörten im Allgemeinen zum eher vermögenderen Handelsbürgertum der Stadt, und die Berufsbezeichnungen der jüdischen Gymnasiasteneltern lauten in der Regel: Kaufmann, Handelsmann, Kornhändler u. ä. Dazu kommen eher vereinzelt Angehörige anderer Berufe wie Uhrmacher, Lehrer an der Baugewerkschule, Gastwirt, Tierarzt, Zahnarzt usw.

Die Tatsache, dass die Zahl der Juden am KWG im Schnitt höher war als der Anteil der Juden an der Bevölkerung der Stadt Höxter, lässt auf eine hohe Akzeptanz des Gymnasiums bei den Juden schließen. Hinzu kommt, dass viele Schüler des KWG nicht nur aus den Gemeinden des Kreises Höxter kamen, sondern auch von weit darüber hinaus. Das reicht bis nach Hessen, ins Ruhrgebiet oder gar bis nach Berlin. Während für die evangelischen Schüler unter anderem das Alumnat an der Bachstraße auf dem heutigen Gelände des Konrad-Beckhaus-Heims zur Verfügung stand, wohnten die auswärtigen jüdischen Schüler im Allgemeinen bei verwandten jüdischen Familien oder hatten Zimmer in der Stadt.

Jüdische Schüler am KWG von 1867 - 1933

Die Zahlen über den Anteil der jüdischen Schüler an der Schülerzahl des KWG bieten im einzelnen ein uneinheitliches Bild. Ein Überblick zeigt aber, dass bis zur Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts durchschnittlich knapp 10 % der Schüler „Israeliten“ waren. Am Höhepunkt 1890 stammten gar 13,6 % der Gymnasiasten aus jüdischen Familien. In den folgenden 20 Jahren bis in den 1. Weltkrieg hinein lag ihr Anteil im Durchschnitt bei annähernd 6 % und sank danach allmählich, aber kontinuierlich auf 1 bis 1,5 % zu Beginn der 30er Jahre.

Die Ursachen für diesen Rückgang sind nicht am KWG zu suchen, sondern hängen zusammen mit der Abwanderung vieler Juden in die großen Städte, wo sie bessere Existenzbedingungen vorfanden. Außerdem muss man die allgemeine große Auswanderungsbewegung in die USA im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Rechnung stellen, die auch die Juden ergriff. Nachweislich haben mindestens neunzehn ehemalige jüdische Schüler des KWG in diesem Zeitraum Deutschland verlassen, in manchen Fällen zusammen mit der Familie, sechs weitere nach dem 1. Weltkrieg. Auf dem Hintergrund dieser Abwanderungsbewegung aus Höxter ist auch zu erklären, dass die an die Synagoge angebaute Jüdische Schule an der Nagelschmiedstraße, die bis dahin von den meisten jüdischen Kindern als „Grundschule“ besucht wurde, bald nach der Jahrhundertwende ihre Pforten schließen musste.

Trotzdem bleibt bis zum Beginn des „3. Reiches“ der Anteil der Juden am KWG höher als ihr Bevölkerungsanteil in der Stadt. Insgesamt kamen von den rund 3400 Schülern, die in den Jahren zwischen 1867 und 1933 von ihren Eltern am KWG und der zugehörigen Vorschule angemeldet wurden, 163, also annähernd 5 %, aus jüdischen Familien. Und regelmäßig schickten die Höxteraner Juden, die selbst am KWG die Schulbank gedrückt hatten, ihre Söhne auch wieder dorthin, einige sogar, wenn sie selbst nicht mehr in Höxter wohnten oder dort nur zum Gymnasium gegangen waren.

Die Stellung der jüdischen Schüler im Kaiserreich

Wie schon die Zahlen zeigen, fühlten sich die Juden am KWG gleichberechtigt aufgenommen, und auch ein latenter Antisemitismus wird in den Schulakten kaum spürbar. Jedenfalls prägte der Gegensatz zwischen Protestanten und Katholiken in der Gründungszeit des KWG, während des Kaiserreiches und auch noch in den 1920er Jahren das Schulleben und die öffentliche Diskussion weitaus stärker als etwaige antisemitische Äußerungen oder Vorfälle. Und wenn die Schule etwa 1909 den Wunsch zurückweisen musste, auch bei jüdischen Schülern die Religionsnote mit ins Zeugnis aufzunehmen, so lag das einfach daran, dass der jüdische Religionsunterricht nicht von der Schule erteilt wurde.

Sicher hat es gelegentlich auch am KWG antisemitische Ansätze gegeben. So warf Naphtali Fränkel, der damalige Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Höxter, dem KWG 1909 vor, jüdische Schüler würden am KWG zurückgesetzt und der dortige Spiel- und Turnverein wolle sie nicht aufnehmen. Dabei bezog er sich wohl im Wesentlichen auf einzelne Schüleräußerungen, denn der seit 1906 amtierende Direktor Hartmann betont in seinem Antwortbrief, „dass es hier von Anfang an mein Bestreben gewesen ist, confessionelle Gegensätze auszugleichen und Streitigkeiten zu verhindern. Daher würde ich einen Verein, der in seinen Statuten oder in der Praxis Andersgläubige principiell ausschliesst, auflösen.“

Soweit aus den Unterlagen erkennbar, wurde dieser Anspruch auch in der Praxis eingelöst. Kleine Beispiele dafür sind z. B., dass regelmäßig bei Kaisergeburtstagen Juden ohne Unterschied zu ihren christlichen Mitschülern dazu ausersehen waren, vaterländische Gedichte zu deklamieren, dass etwa der später vor den Nazis emigrierte Walter Fränkel ausgewählt wurde, bei der Einweihung des Denkmals für Hoffmann von Fallersleben eines von dessen Gedichten zu rezitieren, und ihm auch bei Kaisergeburtstagen mehrfach eine solche Aufgabe zufiel usw. Beispiele dieser Art sind vielfältig.

Auch im alltäglichen Leben der Schule verhielten sich die Juden nicht anders und wurden auch nicht anders behandelt als ihre nicht-jüdischen Mitschüler. Auch sie „klauten“ bei den Nachbarn Äpfel und ließen sich bei solchen Dumme-Jungen-Streichen ertappen, auch sie versuchten ihr Portemonnaie mit kleinen Tricks aufzubessern, und auch sie mussten ihre Strafe im „Karzer“ absitzen, wenn sie gegen die „Schulzucht“ verstoßen hatten.

Deutlich wird die tatsächlich gleiche Stellung der Juden in dieser Zeit auch am Beispiel der Einweihung des neuen Schulgebäudes in der Bismarckstraße 1912, zu der die ehemaligen Schüler, selbstverständlich auch die Juden, als Ehrengäste geladen waren. Natürlich kamen sie, oder sie spendeten zumindest für die Schule wie alle anderen. Dr. Samson Hochfeld, inzwischen Rabbiner an der Fasanen Synagoge in Berlin, der dort schon den Kaiser empfangen hatte, gab die für die Zeit beachtliche Summe von 20 Mark, Dr. Richard Frankenberg – er hat gerade erst in Höxter seine Praxis aufgemacht – steuert 5 Mark bei, ebenso Max Netheim, zu der Zeit Referendar der Jurisprudenz, und ebenso viele andere. Und bei der Festveranstaltung war mehr als ein Dutzend ehemaliger jüdischer Schüler vertreten, von denen mindestens vier später in den KZs der Nazis umgebracht wurden: Richard Frankenberg, Sigismund Katz, Heinrich Löwenstein und Paul Netheim, während mindestens zwei weitere vor den Nazis ins Exil gehen mussten: Hans Eichwald und Max Netheim.

Wie gleichberechtigt sich die Juden fühlten, zeigte der 1. Weltkrieg. Es war für die ehemaligen jüdischen Schüler des KWG selbstverständlich, wie ihre christlichen Mitschüler – zum Teil freiwillig – als Soldaten „ins Feld zu ziehen“, um für „Kaiser und Reich“ zu kämpfen, wie man damals sagte, dass sie mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurden, dass sie ihr Leben „auf dem Feld der Ehre“ ließen. Insgesamt waren unter den rund 160 gefallenen ehemaligen Schülern des KWG acht Juden, deren auch auf der 1923 im damaligen KWG-Gebäude an der Bismarckstraße eingeweihten Gedenktafel gedacht wurde.

Die Juden am KWG in der Weimarer Republik

Auch nach 1919 änderte sich diese Situation vorerst nicht. Zwar tauchte bereits im Sommer 1920 zum ersten Mal das Hakenkreuz in Höxter in der Zeitung auf, als der antisemitische „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund“ aus Holzminden zu einem Vortrag über „Die Judenfrage“ im Hotel „Reichspost“ einlud. Aber es gelang den Höxteraner Juden, diese Veranstaltung zu verhindern.

In diesem Zusammenhang ist auch eine im Juli 1920 einberufene Protestkundgebung der Juden im Brückfeld zu sehen, in deren Gefolge auch Schüler des KWG antisemitischer Äußerungen beschuldigt werden. Die Schule konnte diese Vorwürfe entkräften, und der jüdische Schüler, der die Anschuldigung erhoben hatte, sah sich veranlasst, sie zurückzunehmen. Immerhin aber ist zu erkennen, dass der latente Antisemitismus, der auch die jüdischen Schüler bedrohte, wohl auch vor dem KWG nicht haltmachte.

Dafür gibt es verschiedene nicht repräsentative, aber bezeichnende Beispiele. 1922 etwa rächte sich ein Schüler für das unfaire Verhalten eines jüdischen Mitschülers, indem er ihm einen antisemitischen Wahlaufruf mit den handschriftlichen Zusätzen „Du Hund!“, „Itzig!“, „Haut die Juden tot!“ zusteckte. 1929 wurde ein großes Hakenkreuz auf das Foto eines jüdischen Schülers geschmiert. Sicher hat es noch weitere Vorkommnisse ähnlicher Art gegeben, ebenso sicher sind sie aber vor 1933 nicht prägend für das Schulleben.

Die Schule stand solchen Diffamierungen nicht untätig gegenüber, und sie ahndete sie in ihrem Rahmen; aber sie rügte nur das individuelle Fehlverhalten, die ,bewußte Kränkung eines Mitschülers‘, die „unanständige Gesinnung“. Es wurde durchaus betont, solche Verhaltensweisen seien geeignet, „das friedliche Nebeneinanderleben der verschiedenartigen Volksgenossen in der Schule zu stören“, aber die konservative und nationale Grundorientierung der Schule verhinderte eine systematische Bekämpfung rassistischen Gedankenguts.

Am gravierendsten ist wohl ein Vorfall aus dem Jahr 1929. Da warf ein jüdischer Schüler dem Studienrat Ummen vor, er habe im Sport „aus konfessionellen Gründen“ die Note „mangelhaft“ erhalten. Als dem Schüler für diese Diffamierung die Androhung der Verweisung ausgesprochen wurde, zog er seinen Vorwurf zurück. Von heute erscheint es eher so, als habe der Schüler mit seinen Behauptungen für sich ein willkommenes Argument gesucht, eine schlechte Note zu relativieren; denn über denselben Lehrer berichtete der ehemalige Schüler Otto (später: Jacob) Pins, Ummen sei im Unterricht scharf und deutlich gegen den Antisemitismus zu Felde gezogen. Immerhin aber zeigt der Vorfall, wie sich die Situation der Juden allmählich anspannte, wie der Antisemitismus der einen Seite auf der anderen Seite die Angst davor erzeugte; kurz, wie sich das „3. Reich“ vorbereitete.

Vielleicht trugen Vorfälle wie die geschilderten zusätzlich dazu bei, dass der Anteil der Juden an der Schülerzahl des KWG in den Jahren der „Weimarer Republik“ überproportional abnahm und schließlich nicht mehr höher war als der Anteil der Juden in der Stadt Höxter. Insgesamt bleibt jedoch festzuhalten – soweit man aus den Akten erkennen kann – dass der Antisemitismus am KWG keine breite Wirkung entfalten konnte, wenn auch die Schule darauf eher halbherzig reagierte und kaum Mittel fand, der Gefahr wirksam entgegenzutreten.

Verfolgung, Ermordung, Exil in den Jahren des „3. Reichs“

Als Hitler am 30. Januar 1933 von Hindenburg zum Reichskanzler berufen wurde, besuchten noch drei jüdische Schüler das KWG. Ihre Situation änderte sich bald, denn die Rassengesetze griffen schnell. Wie sie sich im einzelnen am KWG auswirkten, ist an anderer Stelle dargestellt1. Die Tatsache aber, dass die drei letzten jüdischen Schüler schon bald die Schule verließen, spricht für sich. Günter Griesbach ging zum 1.8.1933, Jacob (Otto) Pins verließ die Schule am 8.9.1933, und mit dem Abgang von Rudolf Pins am 1.11.1934 war das KWG „judenfrei“, wie einer der damals gängigen Euphemismen lautete. Damit endet zwar die Geschichte der jüdischen Schüler am KWG, aber die Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der Juden in Deutschland beginnt, der auch die ehemaligen jüdischen Schüler des Gymnasiums zum Opfer fielen, wenn sie sich nicht durch die Flucht ins Ausland retten konnten.

Gleich im Jahr 1933 begann die erste Welle der Emigration. Es waren vor allem Angehörige der jüngeren Generation, die nach Südamerika, Palästina und in die USA flüchteten. Mit der zweiten Welle der Emigration, beginnend etwa nach der Olympiade in der Berlin 1936, die eine gewisse Ruhepause gebracht hatte, begannen dann zunehmend auch die Älteren ihr Heil und Überleben durch die Flucht aus Deutschland zu suchen. Für etliche von ihnen waren zunächst die Niederlande und England ein vorläufiger Zufluchtsort, von wo sie dann aber in andere Länder ziehen mussten, in die USA, nach Südafrika, nach Südamerika, aber auch für die Jahre des Krieges auf die Philippinen und nach China.

Nach einer gewissen Ruhepause um 1936, als die Nazis ihre Beziehungen zum Ausland zu konsolidieren suchten (Olympiade in Berlin), folgte 1938/39 eine neue Fluchtwelle, die v.a. in die USA, aber auch auf die Philippinen, nach Südafrika, England, Holland, Schweden etc. führte. Die letzte belegte Auswanderung gelang noch im September 1940. Es war jetzt vor allem die Generation der 30- bis 50-Jährigen, die das Exil als letzten Ausweg sah. Insgesamt haben in den Jahren 1933 bis 1940 mindestens 47 ehemalige jüdische Schüler des KWG Deutschland verlassen in der Hoffnung, ihr Leben zu retten. Drei von ihnen wurden aber aus dem Ausland in die Vernichtungslager deportiert und ermordet.

Schicksal jüd. Schüler KWG

Die Ermordung der jüdischen Schüler des KWG im Holocaust

Wer 1940 noch in Deutschland geblieben war, hatte kaum eine Chance, den Holocaust zu entkommen. Mindesten ein ehemaliger Schüler, Max Eppstein, wurde bereits 1940 ein Opfer der Euthanasie,. Im Herbst 1941 begann dann die Verschleppung vor allem der unter 65-Jährigen nach Lodz, Riga und in andere Ghettos, wo die Juden zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden und dort oder anschließend in einem der Vernichtungslager ermordet wurden. Weitere wurden im Frühjahr 1942 in das Warschauer Ghetto deportiert, kam dort um oder wurden zur Ermordung nach Auschwitz oder in ein anderes Todeslager weiterverschleppt. Ab dem Sommer 1942 wurde dann auch die Gruppe der Älteren deportiert, vorzugsweise in das sogenannte Altersghetto Theresienstadt, wo sie elendiglich starben oder zur Ermordung in die Vernichtungslager Treblinka oder Auschwitz gebracht wurden.

Während die Generation der etwa unter 65-Jährigen vor allem in den „Osten“ deportiert wurde, um dort in den Vernichtungslagern zu arbeiten und zu sterben, kamen die Älteren vorzugsweise in das Vorzeigelager und „Altersghetto“ Theresienstadt, wo kein besseres Schicksal auf sie wartete. Die meisten starben bereits nach wenigen Monaten oder wurden weiter in die Vernichtungslager Treblinka oder Auschwitz deportiert

Jedes einzelne Schicksal bedarf einer genaueren Darstellung (siehe Jüdische Schüler des KWG – Opfer des Holocaust). Stellvertretend seien hier nur drei Beispiele genannt.

Max Eppstein (* 1879) aus der gleichnamigen Höxteraner Kaufmannsfamilie wurde im September 1940 im Rahmen der „Aktion T 4“ aus der Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf in die Pflegeanstalt Buch bei Berlin und von dort weiter in die „Euthanasie“-Anstalt Brandenburg gebracht, wo er am 27.9.1940 in der Gaskammer ermordet wurde.
Der aus Boffzen stammende Metzgerssohn Erich Kleeberg (* 1902) war vom KWG aus zunächst auf die jüdische Schule nach Seesen gegangen. Er hätte danach eigentlich den väterlichen Betrieb übernehmen sollen, fiel jedoch beim Anblick von Blut regelmäßig in Ohnmacht. Er machte deshalb in Kassel eine Bankausbildung und lernte dort seine spätere Frau, eine Nichtjüdin, kennen. Die beiden gingen nach Hannover, lebten dort aber getrennt, da die Eltern Kleeberg eine Ehe mit einer Nichtjüdin strikt ablehnten. Erst nach 10 Jahren setzten sie sich schließlich über den Widerstand der Eltern hinweg und heirateten 1931, aber es dauerte danach noch lange, bis es zur Versöhnung kam. Da Erich Kleeberg in „Mischehe“ mit einer „Arierin“ lebte, blieb er von den Deportationen der Jahre 1941/42 verschont, aber Anfang 1945 wurde auch er aus seiner Familie gerissen und ins KZ gebracht. Auf den „Todesmärschen“ der letzten Kriegstage, mit denen die Insassen der KZs vor den vorrückenden Truppen der Alliierten verlegt wurden, kam er im April 1945 bei Sandbostel um.
Der Handelsmann Julius Dillenberg (* 1881), der in der Stummrigestraße den Viehhandel der Familie fortführte, floh im August 1937 mit seiner Frau Hertha nach Amsterdam ins Exil und hoffte so dem Naziterror zu entkommen. Nach der Besetzung der Niederlande wurde er aber vom 9.2.1943 bis zum 21.4.1943 im holländische Durchgangslager Westerbork interniert und dann nach Theresienstadt deportiert, von wo er am 19.10.1944 zur Ermordung nach Auschwitz verschleppt wurde. Seine Frau überlebte in Theresienstadt.

Insgesamt wurden nach den bisher vorliegenden Informationen mindestens 32 jüdische Schüler des KWG in den Lagern der Nazis ermordet, drei von ihnen noch nach ihrer Flucht ins Exil. Und es ist zu befürchten, dass die Zahl der Opfer des Holocaust noch höher liegt.

1 Siehe Fritz Ostkämper: „Die König-Wilhelm-Oberschule für Jungen unter dem Nationalsozialismus“. In: Festschrift 125 Jahre König-Wilhelm-Gymnasium, 1992, S. 67-99.

Fritz Ostkämper 1992/2019
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de

Nachtrag

Auf Anregung des KWG-Lehrers Fritz Ostkämper beschloss die Schulkonferenz im Juni 1991 die Errichtung einer Gedenktafel für die ermordeten jüdischen Schüler des KWG. Der Kunstlehrer Hans Elsner fertigte den Entwurf, der Kunstschmied Rolf Habke übernahm die Ausführung, und der Schulleiter Dr. Gerd-Reiner Maier beschaffte die finanziellen Mittel. Am 1.2.1993 konnte die Gedenktafel in einer feierlichen Gedenkveranstaltung eingeweiht werden, zu der unter anderem auch der Vorsteher der jüdischen Kultusgemeinde Paderborn Erwin Angreß angereist war, der zum Schluss der Veranstaltung das Kaddisch sprach.
In den folgenden Jahren gab es wiederholt Ausstellungen zum Schicksal der ehemaligen jüdischen Schüler des KWG im Foyer der Schule. Mehrfach besuchten ehemalige Schüler oder ihre Angehörigen das KWG, auch um vor Schülern über ihre Erinnerungen zu berichten. Dazu haben es Schüler des KWG seit einigen Jahren übernommen, jährlich den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Forum Jacob Pins mitzugestalten.

Zeitungsbericht über die Einweihung der Gedenktafel, Westfalen-Blatt, 3.1.1993
Zeitungsbericht über die Einweihung der Gedenktafel, Westfalen-Blatt, 3.1.1993
Der ehemalige KWG-Schüler Jacob Pins 1999 mit Schülern an der Gedenktafel
Der ehemalige KWG-Schüler Jacob Pins 1999 mit Schülern an der Gedenktafel
Louis Frankenberg aus São Paulo, Großneffe des beliebten Höxter Arztes und KWG-Schülers Dr. Richard Frankenberg, 2001 an der Gedenktafel
Louis Frankenberg aus São Paulo, Großneffe des beliebten Höxter Arztes und KWG-Schülers Dr. Richard Frankenberg, 2001 an der Gedenktafel
Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, Westfalen-Blatt, 28.1.2011
Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, Westfalen-Blatt, 28.1.2011