
Juden in Ovenhausen
Die Überlieferung über die jüdischen Bürger von Ovenhausen reicht bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts zurück (1628), jedoch handelte es sich bis Ende des Jahrhunderts offensichtlich eher um kurzzeitigere Aufenthalte. 1702 siedelte sich dann der aus Brakel kommende Aser im Haus Am Bachgraben 6 an, und dieses Haus blieb über 170 Jahre mit wechselnden Namen in jüdischem Besitz (Kap[p]enberg, Aronstein, Archenholz/Archenhold, Gut[h]man).
Nach 1800 hatte sich in Ovenhausen bereits eine für das kleine Dorf recht große jüdische Gemeinde gebildet. 1811 wurden elf jüdische Haushalte mit insgesamt 48 Personen gezählt. 1853 gab es 21 Familien mit 47 Personen. Hinzu kam ein jüdischer Einwohner in Bosseborn, das zur Synagogengemeinde Ovenhausen gehörte.

In diesen Jahrzehnten war Ovenhausen nach der Kernstadt die größte jüdische Gemeinde des heutigen Gebietes der Stadt Höxter. Bereits 1847 verfügte sie über einen eigenen „Betsaal“, und nach dem Bau der neuen Schule in Ovenhausen 1855 richtete man im zunächst angemieteten und 1871 käuflich erworbenen ehemaligen Schullokal im Hause Heiligenberg 1 einen neuen Versammlungs- und Gebetsraum ein, der noch in den 1920er Jahren bestand. Das Gebäude wurde 1971 abgebrochen.
In den Jahrzehnten nach 1870 ging zwar die Zahl der Juden wie fast überall in den Dörfern allmählich zurück, jedoch zählte die jüdische Gemeinde 1895 immerhin noch 24 Personen. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts lebten im Wesentlichen noch die Angehörigen dreier Familien in Ovenhausen: die Familie Uhlmann, die in ihrem Haus an der Hauptstraße einen Gemischtwarenladen führte; die Familie Stamm, die ihren bescheidenen Lebensunterhalt mit dem Handel von Rohprodukten und Ziegen sicherte; und die wohlhabende Viehhändlerfamilie Dillenberg.
Der Vater Meier Dillenberg war mehrere Jahre Vorsteher der Ovenhauser Synagogengemeinde. Sein Sohn Max galt als sehr hilfsbereit und erfreute sich großer Beliebtheit. Er stellte des öfteren seine Pferde zur Verfügung, wenn Hilfe gefordert war. Auch auf Schützenfesten war er ein gern gesehener Gast, zumal er den berittenen Offizieren mit seinen Pferden aushalf. Ebenso erinnert man sich an seine reichlichen Spenden bei Sammlungen. Im 1. Weltkrieg kämpfte er für „Kaiser und Reich“ und wurde verwundet. Sein später nach Fürstenau verzogener Bruder Hermann wurde ebenfalls verwundet, und sein Bruder Abraham fiel im Krieg.
Das 3. Reich bereitete sich jedoch vor. Einige Tage vor der Reichstagswahl im September 1930 wurden auf dem jüdischen Friedhof in Ovenhausen zahlreiche Grabsteine umgestürzt und demoliert, worüber sich die Bevölkerung allgemein empört zeigte. Im September 1935 wurden bei Max Dillenberg nachts Fensterscheiben eingeworfen. Diesmal wurde noch der verdächtige Händler Ferdinand W. aus Ovenhausen in Untersuchungshaft genommen und sogar aus der NSDAP ausgeschlossen. Zu welchem Ergebnis die Strafsache, mit der sich der Oberstaatsanwalt in Paderborn beschäftigte, geführt hat, ließ sich nicht feststellen. Die Ruhe war aber trügerisch.
Zwar wurde die tatkräftige Hilfe von Max Dillenbergs und Norbert Uhlmanns bei einem Brand 1935, bei dem sich letzterer vor Anstrengung eine Krankheit zugezogen habe, allgemein geschätzt, aber in den Jahren 1937/38 wurden mehrfach die jüdischen Häuser mit Kalk bestrichen. Mit Ölfarbe wurden Sprüche wie „Der Jude ist ein Blutsauger“ oder „Schacherer“ auf die Wände geschmiert. 1938 mussten die Juden ihr Vermögen angegeben, und es wurde in Frage gestellt, ob die Geschäfte weiterbestehen sollten. Bezüglich des Kolonialwarengeschäfts der Johanna Dillenberg war man der Meinung, dass für eine Weiterführung kein Bedarf bestehe, da genügend „arische“ Geschäfte vorhanden seien. Norbert Uhlmann hatte zu dieser Zeit sein Kolonialwarengeschäft bereits aufgegeben und handelte nur noch mit Ziegen und Fellen.
Noch fanden die Juden aber doch manchmal noch Unterstützung, so der Händler und Lumpensammler Bernhard Stamm, der kaum noch seine Existenz sichern konnte. Im Oktober 1938 setzte sich der Inhaber der Firma Waffenschmidt und Co. aus Höxter, die in der Albaxer Straße mit Alteisen handelte, bei der Industrie- und Handelskammer für Stamm ein, dem die Geschäftstätigkeit verboten worden war, der aber noch Beiträge zahlen sollte. In dem Brief heißt unter anderem:
„Im hiesigen Kreis hatten wir seit 39 Jahren einen Handelsmann der Lumpen und Eisen sammelte und zwar den Juden B. Stamm in Ovenhausen über Höxter. Der Mann betrieb das Geschäft mit einem kleinen Pferd und Wagen. Er hat seit dem 1.1. dieses Jahres kein Gewerbe mehr bekommen. Es handelt sich bei diesem Juden um einen, wir könnten wohl sagen, um einen reellen Juden. Er besitzt in Ovenhausen ein kleines Häuschen und hat einen Sohn und zwei Töchter. Er, wie alle seine Angehörigen sind nicht ganz normal und leben in den erbärmlichsten Verhältnissen. […] er wüßte nun als 73jähriger Mann nicht, wovon er seinen Lebensunterhalt betreiben sollte. Wir sind von jeher ein Judenfeind gewesen, aber hier muss man auch wieder Mensch sein. Der Mann müßte den Betrag retour haben, denn er hat kein Geschäft. Heil Hitler! gez. Waffenschmidt & Co.N.B. Der Mann kann selbst nicht schreiben.“
Solche Unterstützungsaktionen verzögerten das Ende jedoch nur um weniges. Nach der Pogromnacht 1938, als Max Dillenberg und Norbert Uhlmann in das KZ Buchenwald verbracht wurde, mussten alle jüdischen Geschäfte geschlossen werden, und die beiden ersteren mussten nach ihrer Rückkehr aus Buchenwald in der Papierfabrik in Godelheim arbeiten, wohin sie mit dem Fahrrad fahren mussten.
Ende 1939 wurde die Synagogengemeinde Ovenhausen aufgelöst und der jüdischen Kultusgemeinde Höxter zugeschlagen. Es kam im Dorf auch noch zu Besuchen bei den Juden (der letzte Besuch bei den Uhlmanns ist für den Nikolaustag 1941 belegt). Im Dezember 1941 und im März 1942 wurden dann die letzten zwölf jüdischen Einwohner Ovenhausens, die Familien Dillenberg, Stamm und Uhlmann in die KZs der Nazis deportiert und dort ermordet. Keiner von ihnen überlebte. Nur Gustav Uhlmann, Bruder von Norbert und Lene, der von Höxter aus deportiert wurde, wo er als Verkäufer bei der Fa. Löwenstein beschäftigt gewesen war, entging der Vernichtung und gelangte über Schweden in die USA, wo er inzwischen verstorben ist.

Im Jahr 2001, als das Ovenhauser Haus Uhlmann in das Freilichtmuseum Detmold versetzt worden war, reifte im Ovenhausen der Plan, durch einen Gedenkstein an die ehemaligen jüdischen Mitbürger zu erinnern. Anfang 2002 wurde er am Heiligenberg gegenüber dem Standort des früheren jüdischen Gebetssaals eingeweiht. Seit 2009 wird mit Namenstafeln an die ermordeten Juden aus Ovenhausen erinnert.

Der jüdische Friedhof in Ovenhausen

Der relativ gut erhaltene Friedhof der Ovenhausener Juden liegt wie auch in anderen Orten etwa 2 km abseits des Dorfes in einem Fichtenwäldchen an einem von der Straße nach Vörden abzweigenden Feldweg Richtung Altenbergen. Das Gelände diente den Juden wohl seit Anfang des 18. Jahrhunderts zur Bestattung ihrer Toten. Der erste bekannte Beleg über eine Beerdigung stammt von 1803, und 1899 betonen die Vorsteher der jüdischen Gemeinde, der Begräbnisplatz sei „Jahrhunderte hindurch von der hiesigen Synagogen-Gemeinde unbeanstandet benutzt worden“.
Ursprünglich war dieser Bereich deutlich größer. Das gemeindeeigene Gelände war damals mit hohen Eichen bestanden und wurde von den Ovenhausener Einwohnern als Hude und Weide genutzt, die hier ihr Vieh und vor allem die Schweine hüteten. Noch heute zeugen vier kleine Grabsteine am Rand des Fichtenwäldchens von diesem einst größeren Friedbereich, in dem es „von hiesiger Gemeinde nur gedultet worden“ sei, dass die Juden ihre Toten hier beisetzten, wie es 1844 in einer Meldung des Ovenhausener Gemeindevorstehers heißt. Um 1890 mit der Separation wurde dann der heutige umfriedete kleine Friedhof abgeteilt. Als letzte wurde dort die am 16.3.1942 verstorbene Julie „Sara“ Dillenberg (*1869) bestattet, zwei Wochen vor der Deportation ihrer Geschwister Max und Karoline in die Vernichtung. Heute findet man dort noch neun zum Teil wohl infolge ihres Alters umgestürzte Grabsteine. Allerdings wurden bereits einige Tage vor der Reichstagswahl im September 1930 zahlreiche Grabsteine umgestürzt und demoliert, worüber sich die Bevölkerung allgemein empörte.
Das Haus Uhlmann

Einer besonderen Erwähnung bedarf das ehemalige Haus Uhlmann, das im Jahre 2000 von seinem Platz an der Hauptstr. 31 in Ovenhausen in das Westfälische Freilichtmuseum in Detmold versetzt und dort als Zeugnis jüdischer Wohn- und Alltagskultur auf dem Lande wieder aufgebaut wurde.
In Ovenhausen lebte im 18. Jahrhundert der Schutzjude Soistmann Berend, der als Händler und Hausierer seine Waren in der Umgebung verkaufte, bis ihn seine Frau Jente Soistmann am 12. Febr. 1783 erschlagen unter eine Buche fand – Grundlage für Annette von Droste-Hülshoffs berühmte Novelle „Die Judenbuche“. Soistmann Berend wurde ermordet, weil der Täter trotz des gegen ihn ergangenen Gerichtsurteils den bereits gelieferten Stoff für ein Hemd nicht bezahlen wollte. Der Mörder floh über die Niederlande und Italien nach Algerien. Dort geriet er in die Sklaverei, aus der er Weihnachten 1805 nach Hause zurückkehrte. Im Herbst 1806 erhängte er sich im Wald.
Nach der Ermordung des Soistmann Berend heiratete die Witwe Jente heiratete wieder, und zwar den Amelunxer Juden Seligmann Salomon (Archenhold). Doch auch er starb eines unnatürlichen Todes. Am 23. Mai 1817 fand man ihn bei Höxter tot in der Weser treibend. Dieser Seligmann Salomon hatte 1784 das zu dem Zeitpunkt unbebaute Grundstück Hauptstraße 31 erworben, das anscheinend bereits früher (vor 1761) bebaut gewesen war. Er errichtete 1804/05 das Haus, wie es bis 2000 in Ovenhausen stand, und überschrieb es 1805 gegen eine Liebrente für sich und seine Frau dem Stiefsohn Berend Soistmann, der sich ab 1808 Steilberg nannte.
Das Haus blieb, von gewissen Umbauten abgesehen, in seinem Kernbestand bis in die Gegenwart erhalten. Im Haus eingebaut war ein Laden, wie es für Händlerhäuser auf dem Land typisch war. Außerdem gehörte dazu ein kleiner Stall für ein oder zwei Ziegen. Der Laden bestand aus einem hölzernen Tresen mit einer Öffnung darüber, die per Klappe geschlossen wurde. Dieser Tresen im Hausflur ist ebenso erhalten wie prächtige farbige Schablonenmalereien aus den 1920er Jahren.

Denn das Haus wurde bis zur Deportation seiner letzten Einwohner von jüdischen Kaufleuten genutzt. Nach dem Konkurs der Familie Steilberg im Jahre 1885 erwarb der jüdische Kaufmann Levy Uhlmann, dessen Familie seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Ovenhausen ansässig war, das Gebäude und betrieb den kleinen Gemischtwarenladen im Haus weiter. Levy Uhlmann starb 1927 (sein Grabstein befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Ovenhausen), und sein Sohn Norbert führte das Geschäft weiter. Die Familie lebte noch bis 1941 in dem Haus. In diesem Jahr wurden die jüdischen Bewohner des Hauses nach Riga deportiert – keiner von ihnen kehrte lebend zurück. Reste von Mesusa-Kapseln an den Zimmertüren verweisen aber noch heute darauf, dass hier einmal Juden lebten.
Der sehr weitgehende Erhaltungszustand veranlasste das Freilichtmuseum Detmold, das Haus Uhlmann im Herbst 2000 von seinem bisherigen Standort zu translozieren und es als Beispiel eines jüdischen Wohn- und Geschäftshauses auf dem Lande wieder aufzubauen. Genau 85 Jahre nach der Heirat von Norbert und Helene Uhlmann, am 11.9.2007, wurde das Haus dort zur Besichtigung freigegeben.
Opfer der Shoah aus Ovenhausen
Kurzbiografien siehe Opfer der Shoah aus den Dörfern

In Ovenhausen geborene oder zeitweilig hier lebende Opfer der Shoah
Kurzbiografien siehe Aus den Dörfern verzogene Opfer des Holocaust

Fotos der Personen und der jüdischen Häuser: Mit freundlicher Genehmigung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Freilichtmuseum Detmold und des LAV Staatsarchiv Detmold
Baumeier, Stefan / Stiewe, Heinrich (Hg.): Die vergessenen Nachbarn. Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen. Bielefeld, Verlag für Regionalgeschichte, 2006 [verschiedene Aufsätze] • Bertels, Heinz: Die jüdische Gemeinde zu Ovenhausen 1702 – 1942. In: Höxter-Corvey, HVV, Heft 11, November 1980, S. 5-9 • hp: Projekt „Jüdische Wohn- und Alltagskultur“. Jüdisches Wohnhaus kommt ins Freilichtmuseum Detmold. In: OWZ 19, 13.5.2000 • Köhne, Josef: Gedenkstein als Mahnmal. Ovenhausen erinnert an ermordete Juden des Dorfes. In: NW 21.1.2002 • Krus, Horst-D.: Mordsache Soistmann Berend. Zum historischen Hintergrund der Novelle ,Die Judenbuche‘ von Annette von Droste-Hülshoff. Münster, Aschendorff, 1990 (Schriften der Droste-Gesellschaft XIX) • Schmidt, Ulrich: Der Laden aus der Judenbuche. Wie schwer es den Bewohnern eines westfälischen Dorfes fällt, sich zu erinnern – Ein Sittengemälde. In: Süddeutsche Zeitung 4, 5./6./7.1.2001 • Stiewe, Heinrich: Jüdische Wohn- und Alltagskultur im Freilichtmuseum. Zur Translozierung des Hauses Steilberg/Uhlmann aus Ovenhausen (Kr. Höxter) ins Westfälische Freilichtmuseum Detmold Jüdische Wohn- und Alltagskultur im Freilichtmuseum
