Jüdische Bürger in Höxter

Juden in Höxter (1384–1933) – eine kleine Vorgeschichte

Vom Mittelalter bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (1384–1919)

Die Geschichte der Juden in Höxter reicht bis mindestens ins 14. Jahrhundert zurück, als der Jude Leone am 1. Mai 1384 mit seiner Familie und seinem Gesinde in einem Geleitbrief unter den Schutz der Stadt Höxter gestellt wurde. Noch für vier weitere Jahrhunderte hatten die Juden auch in Höxter kein Bürgerrecht und mussten sich ihr Aufenthalts- und Gewerberecht durch Schutzbriefe beim Landesherrn erkaufen. Der Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke und die Tätigkeit im Handwerk war ihnen verboten, und sie waren vor allem im Handel und in Geldgeschäften tätig.

Zwar blieben sie Einwohner minderer Rechte, aber dank ihrer auch für die Bürger der Stadt wichtigen überregionalen Handelsbeziehungen kamen manche von ihnen zu Wohlstand, wie etwa die Familie Gans-Eichwald, die in der Marktstraße 12 ein Stoff- und Textilgeschäft betrieb (später: Textilgeschäft Lipper-Pins) oder die spätere Familie Blumenthal, der das Haus Westerbachstraße 29 gehörte (heute: Corveyer Hof) und deren Vorfahr Meyer Levi die Corveyer Residenz mit Fleisch und Luxuswaren belieferte, den Fürstabt in Geldfragen beriet und bereits 1688 zum Hofjuden ernannt wurde.

Trotzdem blieb die Lage der Juden in Höxter weiterhin fragil, bis sie 1808 durch ein Edikt des in Kassel residierenden Napoleon-Bruders Jérôme 1808 die volle Gleichberechtigung erhielten, bürgerliche Namen annehmen mussten und ihren Aufenthaltsort frei wählen durften. Trotz gewisser Einschränkungen blieb diese Gleichberechtigung auch nach dem Ende der „Franzosenzeit“ und dem Übergang Höxters an Preußen im Wesentlichen erhalten, und die Anzahl der Juden in der Stadt Höxter wuchs – vor allem durch den Zuzug aus den Ortschaften1 – von 42 im Jahr 1808 bis 1840 auf gut 100 an, um nach dem „Gesetz über die Verhältnisse der Juden im Königreich Preußen“ bis 1860 auf über 180 und schließlich auf 209 im Jahr 1885 zu springen. Zahlreiche jüdische Geschäftsgründungen in Höxter datieren aus diesen Jahrzehnten.

Danach ging die Anzahl der jüdischen Einwohner in der Stadt Höxter langsam, aber stetig wieder zurück und sank bis zum Ersten Weltkrieg schließlich auf etwa gut 120 (126 im Jahr 1910). Ursache dafür war neben der Auswanderung in die USA vor allem der Wegzug in die größeren Städte, die mit ihrer rapide wachsenden Einwohnerzahl bessere Verdienstmöglichkeiten für Handelsgeschäfte boten. Zu einem weiteren Rückgang des jüdischen Bevölkerungsanteils kam es im und nach dem Ersten Weltkrieg, in dem auch mindestens 45 in der Stadt Höxter und den Ortschaften geborene Juden als Soldaten einberufen wurden und von denen neun an der Front fielen.2 Weitere Höxter verzogen in diesem Zeitraum oder kurz nach dem Krieg aus Höxter, so dass die jüdische Einwohnerschaft in der Stadt bis 1925 auf etwa 80 zurückging.

Die Entwicklung der jüdischen Einwohnerschaft in den heute nach Höxter eingemeindeten Ortschaften war gegenläufig. Wohnten zu Anfang des 19. Jahrhunderts 1809/10 noch 235 Juden in den Dörfern, so sank ihre Anzahl vor allem durch Umzüge in die Stadt bis 1843 auf 186, bis 1871 auf 131, halbierte sich dann bis 1885 auf 68, und 1925 lebten schließlich nur noch 42 Juden in den Ortschaften.

Juden in Höxter in der Weimarer Republik (1919–1933)

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und ebenso die Jahre der Weimarer Republik waren so etwas wie eine Blütezeit des jüdischen Lebens in Höxter. Dank ihrer vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gegründeten Geschäfte fanden die Juden in Höxter nicht nur ihr Auskommen, sondern lebten zumeist auch in gesicherten finanziellen Verhältnissen und waren dazu in der Stadt auch als gleichberechtigte Bürger akzeptiert.

Die meisten von ihnen arbeiteten im Handel und Gewerbe. Es gab mehrere Bekleidungs-, Stoff- und Schuhgeschäfte. Vor allem in den Ortschaften betrieben jüdische Viehhändler mit den Bauern ihren Handel mit Rindvieh, Pferden und Ziegen. Als Inhaber von Kolonialwarengeschäften versorgten Juden ihre Mitbürger mit Lebensmitteln, Haushaltswaren und anderen Dingen des alltäglichen Bedarfs. Bei den jüdischen Landhändlern kauften die Höxteraner Kartoffeln, Düngemittel und andere Landwaren, aber auch Kohlen und Baustoffe. Die jüdischen Metzgern hielten Fleisch und Wurstwaren bereit. Es gab sogar einen jüdischen Arzt und einen jüdischen Veterinär, der auch als Fleischbeschauer tätig war usw.

Ebenso beteiligten sich die Juden auch am politischen und gesellschaftlichen Leben. Sie waren Geschworene und Schöffen, Mitglieder der Sport- und Gesangsvereine, des Schützenvereins und des Kriegervereins. Siegmund Rosenberg war jahrelang Vorsitzender der AOK im Bereich Höxter. Dr. Richard Frankenberg, „Armenarzt“ und für eine Wahlperiode Mitglied der Stadtverordnetenversammlung, gehörte mehreren städtischen Kommissionen an und organisierte mit seinem in Holland lebenden Bruder Louis jahrelang Ferienaufenthalte für arme Kinder aus Höxter. Die Familie Löwenstein versorgte arme Wöchnerinnen nach der Geburt kostenlos mit Nahrungsmitteln3 und führte bis in die 1930er Jahre einen kostenlosen Mittagstisch für arme Kinder4. Die Juden waren in der Stadt integriert, und selbstverständlich gab es auch Freundschaften und private Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden.

Zwar war der Anteil der Juden vor allem durch den Wegzug in die größeren Städte geschrumpft. Die jüdische Schule in Höxter war wegen der zu geringen Schülerzahlen Anfang des Jahrhunderts eingegangen, die jüdischen Kinder erhielten ihren Religionsunterricht durch den jüdischen Lehrer aus Beverungen und besuchten im Übrigen die öffentlichen Schulen, viele von ihnen auch das König-Wilhelm-Gymnasium in Höxter. Die jüdischen Friedhöfe in Bruchhausen, Lüchtringen, Ottbergen und Stahle wurden nicht mehr belegt. Aber es gab weiterhin ein blühendes jüdischen Gemeindeleben mit Synagogen in Höxter, Fürstenau und bis in die 1920er Jahre auch in Ovenhausen. Die Juden waren in Höxter integriert.

Aber bereits 1920 erschien erstmals in Höxter das Hakenkreuz in der Zeitung, als der Holzmindener Schutz- und Trutzbund mit einer Anzeige für eine Veranstaltung „Zur Judenfrage“ warb.5 Mit einer öffentlichen Versammlung im Brückfeld, zu der auch Juden aus Holzminden, Warburg usw. anreisten, konnten die Höxteraner Juden die Veranstaltung verhindern.6 Der Antisemitismus in Höxter war noch schwach, die NSDAP war gerade erst gegründet, und zwischen Juden und Nichtjuden gab es weiterhin ein gutes Einvernahmen. Auch bei den Reichstagswahlen, zu denen die NSDAP in Höxter 1928 erstmals antrat, fand sie mit 12,5 % nur begrenzten Zuspruch (Amt Höxter Land: 3,1 %), nahm aber dann immer weiter zu: von 28,2 % im Jahr 1930 auf 41,6 % bzw. 37,9 % bei den beiden Reichstagswahlen des Jahres 1932.7

Aber noch fühlten sich die meisten Juden in Höxter offenbar noch nicht bedroht, sie betrieben ihre Geschäfte und nahmen am gesellschaftlichen Leben der Stadt teil. Die Kinder besuchten die öffentlich Schulen und spielten mit ihren christlichen Kameraden, wie sich der 1920 geborene Rudolf Pins erinnerte. „Auch zu Hause schien alles gut mit Sommerferien bei Verwandten nahe der holländischen Grenze, Wanderungen im Solling, Schwimmen in der Weser usw. Politik interessiert mich nicht, und bis 1933 blieben Hitler, die Nazis usw. nur Wörter, denen ich keine Aufmerksamkeit schenkte. Es gab gelegentliche Aufmärsche und Demonstrationen der SA, aber ich beachtete sie kaum. Da es keine jüdischen Jungen meines Alters in Höxter gab, waren alle meine Freunde natürlich Nichtjuden. Nicht ein einziges Mal hörte ich von ihnen ein unfreundliches Wort wegen meiner Religion. Das blieb so bis zu meiner Abreise aus Höxter.“8

Anmerkungen

1 Fast während des ganzen 19. Jahrhundert lag die Anzahl der Juden auf dem Gebiet der heutigen Stadt Höxter annähernd stabil bei etwa 280, ging aber danach durch zahlreiche Wegzüge und Auswanderungen sowie sicher auch die geringeren Kinderzahlen bis 1925 auf gut 120 zurück, ein Verlust, der auch Zuzüge nicht ausgeglichen wurde.
2 Siehe dazu: Vor hundert Jahren: Soldaten für Kaiser und Vaterland – Höxteraner Juden im Ersten Weltkrieg. Ausstellung, 2014.
3 Heinrich Alsweh, 4.8.1988.
4 Rosa Huppermann, 7.2.1988.
5 StDZ 24.6.1920.
6 Vgl. dazu: Ernst Würzburger, Höxter: Verdräntte Geschcihte […]. Holzminden, Mitzkat, 2014, S. 179 und die Quellen im StA Hx.
7 Da bei Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 keine eindeutigen Merhehiten zustande kamen, fand am 6. November 1932 eine erneute Reichstagswahl statt.
8 Rudy Pins, Erinnerungen (2007/08).

Fritz Ostkämper, 20.10.2024
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de