Jüdische Bürger in Höxter

Postkarte der Grubestraße (heute Corbiestraße), eilfertig zu Adolf Hitlerstraße geändert
Postkarte der Grubestraße (heute Corbiestraße), eilfertig zu Adolf Hitlerstraße geändert

Der „friedliche Terror“ der Jahre 1933 bis 1935 und
die ersten Auswanderungen

Mit der sog. „Machtergreifung“ Hitlers am 30. Januar 1933 änderte sich die Lage der Juden grundlegend. Den Reichstagsbrand am 27./28. Februar 1933 nutzte die NSDAP vor allem zur Verfolgung der Kommunisten und Sozialdemokraten, von denen etliche bereits im März und April in Schutzhaft genommen wurden. Mit der tags darauf von Reichspräsident Hindenburg erlassenen „Notverordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ (Reichstagsbrandverordnung) wurden die Grundrechte außer Kraft außer Kraft gesetzt. Bei den folgenden Reichstagswahlen am 5. März 1933 erhielt die NSDAP mit 43,9 % (Höxter 44,6 %, Höxter Amt Land 15,5 %) zwar nicht die erhoffte absolute Mehrheit, hatte aber zusammen mit der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, einem von der DNVP dominierten Wahlbündnis, eine parlamentarische Mehrheit und konnte darauf gestützt den Weg in die Diktatur antreten.1

Mit dem am 24. März 1933 verabschiedeten „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ (Ermächtigungsgesetz) übertrug der Reichstag das Recht zum Erlass von Gesetzen an die Reichsregierung und gab so seine parlamentarischen Rechte auf. Die ersten Angriffe richteten sich vor allem gegen die Kommunisten als politische Hauptgegner, aber auch gegen Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere politische Gegner, die in „Schutzhaft“ genommen wurden und von denen etliche in den Emslandlagern Esterwegen, Börgermoor usw. zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden.2

Höxtersche Zeitung, 21.3.1933
Höxtersche Zeitung, 21.3.1933

Auch politisch engagierte Juden gehörten schon früh zu den Verfolgten wie der in Braunschweig praktizierende sozialdemokratische und „aus zahlreichen kommunistischen Prozessen bekannte Rechtsanwalt Julius Frank“, der sich aus beruflichen Gründen in Westfalen aufhielt. Er wurde am 18. März 1933 beim Besuch seiner Eltern in Höxter „in Schutzhaft genommen und noch am selben Tage nach Braunschweig überführt“ wurde,3 wo er bis zum 20. April 1933 als „Schutzhäftling“ im Gefängnis Rennelberg eingesperrt wurde.4

Der allseits beliebte jüdische Arzt Dr. Frankenberg, der nach dem Krieg zusammen mit seinem Bruder Louis jahrelang die Ferienverschickung armer Höxteraner Kinder organisiert hatte und der seiner Stadt mehr als zehn Jahre lang als Mitglied der Gesundheitskommission und der Wohlfahrtskommission gedient hatte, wurde als Mitglied der städtischen Kommissionen abgewählt5 und verlor auch seine Bestallung als „Polizeiarzt“ (Armenarzt), der die Stadtarmen kostenlos behandelte, und wurde durch einen Nichtjuden ersetzt.6

In der konstituierenden Sitzung der am 12. März 1933 gewählten Stadtverordnetenversammlung stellte die NSDAP-Fraktion am 27. März 1933 den ‚Dringlichkeitsantrag‘, „den Herrn Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg und den Herrn Reichskanzler Adolf Hitler zu Ehrenbürgern der Stadt zu ernennen, die Wallpromenade in Hindenburgwall und die Grubestraße vom Hoffmann-Denkmal bis zum Hotel ‚Stadt Bremen‘ in ‚Adolf Hitler-Straße‘ umzubenennen“. Der Antrag wurde einstimmig befürwortet und vom Magistrat auch wenige Tage später umgesetzt.7

Höxtersche Zeitung, 1.4.1933
Höxtersche Zeitung, 1.4.1933

Auch die antisemitische Hetze und die Übergriffe gegen jüdische Menschen und Geschäfte nahmen zu. Während das Zentrumsblatt Höxtersche Zeitung noch weitgehend sachlich berichtete, überschlugen sich das NS-Volksblatt und überregionale Zeitungen mit antisemitischen Artikeln. Diese Hetze und die willkürlichen Übergriffe auf jüdische Bürger riefen auch in anderen Ländern Protest hervor. Die Parteileitung rief daraufhin als „Maßnahme gegen die Greuelpropaganda im Ausland“ für den am 1. April8 zu einem antisemitischen Boykott auf, der sich vor allem gegen jüdische Geschäfte, aber auch Rechtsanwälte, Ärzte und andere richtete. Auch in Höxter wurden seit Donnerstag, 30. März, „vor den jüdischen Geschäften Schilder und SA.Posten aufgestellt, um das Publikum vom Betreten dieser Geschäfte abzuhalten. Die meisten jüdischen Geschäfte haben daraufhin geschlossen.“ Offenbar kam es dabei auch zu (wohl kurzzeitigen) Verhaftungen, denn ein Besucher der Stadt schrieb am 2. April an seine Verwandten: „Hier werden jeden Tag Juden verhaftet.“9 Der Boykott endete mit einer „vom Aktions-Komitee der NSDAP. Höxter aufgerufene[n] Protest-Kundgebung gegen die Greuel- und Lügenpropaganda“.10

Das Gefühl der Bedrohung auch in Höxter nahm zu, wie sich etwa Jacob Pins erinnerte: „Es war nur wenige Tage nach dem ersten grossen offiziellen Boykott aller Juden und ich war in einem Dilemma: Sollte ich an der traditionellen Einjährigen-Feier teilnehmen oder nicht. Ich war in keiner Weise in der Stimmung und war auch nicht sicher, dass bei einem solchen Gelage nicht ausfällige Bemerkungen oder gar Tätlichkeiten fallen könnten. Andererseits schien es auch nicht so ratsam, als einziger mich auszuschliessen. Ich beschloss, Studienrat Ummen11 zu fragen. Seine Antwort war: Du gehörst dazu und alles Weitere überlasse mir! Es wurde sogar eine nette Feier ohne politische Bemerkungen und Alles ging gut. Es war meine letzte Feier, Abschluss meiner Jugend und Zeitepoche.“12

Nicht alle Juden nahmen solche Übergriffe ohne Widerspruch hin, wie der Jacob Pins über seinen Vater berichtete: „Pins war ein Freund des offenen Wortes. Ein (gerade gestorbener) Kanarienvogel veranlasste ihn einmal zu einer spitzen Bemerkung: ‚Der sei wohl von der Stange gefallen, weil am Hause eine Nazifahne hinge.‘ Etwas brenzliger wurde es, als er, es muss irgendwann im Jahr 1933 gewesen sein, ein Schild ‚Kauft nicht bei Juden‘ vor seinem Haus entfernen wollte und er sich mit dem SA-Mann, der es angebracht hatte, heftig stritt. Frau Pins hatte große Not, ihr Mann könne durch den Streit ins KZ kommen. Der NSDAP-Kreisleiter13, ein Bruder des Nachbarn, kam zufällig vorbei und man ‚einigte‘ sich darauf, dass das Schild 5 m vom Haus entfernt aufgestellt werden dürfe. Auch in dieser wirklich gefährlichen Situation nahm Pins kein Blatt vor den Mund.“14

Nach dem Ende des Boykotts schien es zunächst zu einer gewissen Normalisierung zu kommen. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933, demzufolge außer politischen Gegnern auch jüdische Richter, Staatsanwälte, Hochschullehrer und andere aus dem öffentlichen Dienst entlassen wurden, hatte in Höxter keine unmittelbaren Auswirkungen, da es hier keine jüdischen Beamten gab.15 Auch der in Höxter geborene und als Rechtsanwalt und Notar in Osnabrück lebende Dr. Max Netheim konnte sein Notariat16 als ‚Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs‘ vorläufig noch behalten. Und als die jüdischen Ärzte am 22. April 1933 ihre kassenärztliche Zulassung verloren, blieb auch Dr. Frankenberg als ‚Frontkämpfer’ davon noch ausgenommen.

Rathaus (Holzschnitt K.A. Held), Kilianikirche und Nikolaikirche 1933 imit Hakenkreuzfanen
Rathaus (Holzschnitt K.A. Held), Kilianikirche und Nikolaikirche 1933 imit Hakenkreuzfanen

Aber das gesellschaftliche Klima hatte sich auch in Höxter geändert. Schon beim Handwerkerfest im Juli 1933 war die ganze Stadt mit Hakenkreuzfahnen geschmückt, und selbst an den Kirchen war das Hakenkreuz aufgezogen. Rudy Pins erinnerte sich: „Natürlich änderten sich die Dinge nach der ‚Machtergreifung‘. Vor allem mit dem SA-Boykott jüdischer Geschäfte im Frühjahr 1933 änderte sich die Atmosphäre. Die Radioansprachen von Dr. Goebbels waren hasserfüllt, und ich spürte zu Hause beträchtliche Sorge. Noch schien in der Schule alles mehr oder weniger wie immer. Es gab Gerüchte, einige der Lehrer seien Nazis, aber ich selbst machte keine unangenehmen Erfahrungen – bis eines Tages (ich glaube, es war im Frühling 1934), als die ganze Klasse einen Wochenendausflug machen sollte, der Lehrer mich beiseite nahm und mir mitteilte, dass ich nicht mitkommen konnte. Ein harter Schlag für einen 14-jährigen Jungen.“17

Der Kaufmann Ernst Löwenstein wurde im Mai 1933 denunziert, weil er die „KPD durch höhere Geldbeträge unterstützt“ habe. Er wurde in „Schutzhaft“ genommen und gab in der Vernehmung zu, „ab und zu kleine Beträge von höchstens -,30 bis -,40 an die KPD gezahlt“ und manchmal auch die kommunistische Zeitung Weserwacht gekauft zu haben. Nach Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über seinen schlechten Gesundheitszustand wurde er nach fünf Tagen wieder entlassen, zumal auch fast alle Angestellten (Nichtjuden!) mit einer eidesstattlichen Erklärung für ihn eintraten.18

Der geschäftlich erfolgreiche Ernst Löwenstein blieb jedoch weiter im Visier der Nazis. Eine Zeitzeugin, die mit anderen Mädchen bei den Löwensteins ein kostenloses Mittagessen erhielt, berichtete aus dem Jahr 1934 oder 1935: „Als ich bei dem jüdischen Kaufmann da in Pflege war, da waren wir mit vier Mädchen zusammen. Eines Tages kommen die Nazis an mit ’nem Trupp und demolieren das Wohnzimmer, und der Bruder sagte, der Heinrich Löwenstein: ‚Ja guck euch das mal an, wie könnt ihr denn sowas machen, sowas macht doch sonst keiner.‘ Da haben sie nur so abgewunken, und dann haben sie ’ne Hausdurchsuchung gemacht.“19

Der 1. Mai 1934 auf dem Marktplatz und in der Westerbachstraße
Der 1. Mai 1934 auf dem Marktplatz und in der Westerbachstraße

Öffentliche Kundgebungen und Paraden („Für jeden Scheiß ’nen Fackelzug“20) trugen dazu bei, die Juden aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. So wies die Staatspolizeistelle Bielefeld die Landräte anlässlich des zum „Tag der nationalen Arbeit“ erklärten und mit großen Umzügen gefeierten 1. Mai 1934 darauf hin, dass die „Teilnahme von Juden sich aus dem Grunde verbietet, weil der 1. Mai ein nationaler Feiertag aller Deutschen“ sei.21 Selbst das Beflaggen jüdischer Betriebe mit überwiegend ‚arischer‘ Belegschaft war nur gestattet, wenn es durch „Mitglieder der arischen Belegschaft“ erfolgte.22 Zeitungsartikel und Fotos zeigen, dass viele oder die meisten Höxteraner gern oder willig dabei mitmachten, aber manche und wohl nur wenige suchten sich auch der Teilnahme zu entziehen. Es gab aber auch Betriebe, die den 1. Mai zum Betriebsausflug nutzten und ihren Mitarbeitern so das Mitmarschieren ersparten.23

Aber vorläufig konnten die Juden noch weiterarbeiten und ihre Geschäfte betreiben, wie etwa der Höxteraner Viehhändler Richard Dillenberg, der für den Austrieb des Viehs Jungen aus der Stadt anheuerte.24 Dasselbe galt offenbar auch in den Ortschaften, wo der Antisemitismus wegen der engeren dörflichen Beziehungen anscheinend zumindest zunächst noch weniger Nahrung fand. Noch 1935 berichtete der Amtsbürgermeister bedauernd, der Handel der fünf jüdischen Viehhändler in Fürstenau sei zwar zurückgegangen; „der Handel mit Rindvieh liegt aber zum größten Teil in ihren Händen, da es an arischen Händlern fehlt am Platze und der Jude auch in den meisten Fällen besser zahlt.“25

„Juden sind in dieser Stadt nicht erwünscht“, Schild am Rathaus in Höxter, Sommer 1935
„Juden sind in dieser Stadt nicht erwünscht“, Schild am Rathaus in Höxter, Sommer 1935

Die Hetze gegen die Juden in der Öffentlichkeit und in den Zeitungen nahm jedoch zu. Dazu trugen auch die fünf „Stürmerkästen“ bei, die etwa Mitte 1934 auch in Höxter aufgestellt wurden26 und Aufschriften trugen wie: „Die Juden sind unser Unglück“ oder: „Wer beim Juden kauft ist ein Volksverräter.“ Die Wochenzeitschrift Der Stürmer war voller antijüdischer Propaganda und diente den Nazis auch in Höxter dazu, die Juden zu diffamieren und Kunden jüdischer Geschäfte mit Fotos öffentlich bloßzustellen.

Der immer weiter zunehmende Antisemitismus beschränkte sich jedoch nicht auf die „Stürmerkästen“, sondern war auch im Straßenbild sichtbar. Am Höxteraner Rathaus, in Albaxen, Stahle und anderen Orten hingen oder standen zeitweise Transparente und Schilder mit Aufschriften wie „Juden raus aus unserem Vaterland“ oder „Juden sind in dieser Stadt nicht erwünscht“.

Hetzartikel des NS-Volksblatts gegen das Geschäft Löwenstein, 10.8.1935
Hetzartikel des NS-Volksblatts gegen das Geschäft Löwenstein, 10.8.1935

Waren bereits 1933 nur noch ganz vereinzelt Anzeigen der jüdischen Geschäfte in den Zeitungen erschienen,27 so verschwanden sie in der Folgezeit ganz. Auch die Geschäftstätigkeit der Juden ging zunehmend zurück. Immer häufiger wurden die Käufer in den Zeitungen gewarnt, „dass sie unwürdig und abseits der wahren nationalsozialistischen Volksgemeinschaft stehen“, wenn sie weiter bei Juden kauften.28 Vor allem die staatlichen und kommunalen Beamten und Angestellten wurden aufgefordert, den persönlichen Umgang mit Juden und den Einkauf in jüdischen Geschäften einzustellen.29 Manche Höxteraner wagten es deshalb nicht mehr, die jüdischen Geschäfte zu betreten, sondern schickten ihre Kinder zum Einkauf oder kamen durch einen Hintereingang.30 Bereits Ende Oktober 1934 kündigte Ida Pins ihrem Lehrmädchen und gab zum Ende des Jahres das vom Vater und Bruder übernommenes Wäsche- und Konfektionsgeschäft in der Marktstraße 12 auf. Die Familie verkaufte das Haus und zog zu der Familie Rosenberg-Baruch in die Corveyer Allee 2.31

Erste Auswanderungen (1933 bis 1935)

In den ersten Jahren der Nazidiktatur veränderte sich der Anteil der Juden in der Stadt Höxter und in den Ortschaften kaum, denn die Anzahl der von hier wegziehenden Juden wurde durch Zuzüge aus anderen Orten weitgehend ausgeglichen. Trotz der einschränkenden Maßnahmen und der zunehmenden Hetze fühlten sich die Juden in Höxter in dieser Zeit offenbar noch relativ sicher, und nur wenige dachten schon jetzt an eine Auswanderung, anders als die Familie Pins, deren Sohn Rudi bereits im Frühjahr 1934 von einer Klassenfahrt ausgeschlossen worden war und den die Eltern im November 1934 in die USA schickten.

„Nicht lange nach dem genannten Zwischenfall gab es Gespräche in der Familie über eine Auswanderungsmöglichkeit für mich. In den USA hatte die Roosevelt-Regierung zugestimmt, 1.000 spezielle Einwanderungsvisa für deutsch-jüdische Kinder unter 16 Jahren auszugeben. Meine Eltern beschlossen, für mich einen Antrag zu stellen. Im Herbst 1934 fuhr ich dann selbst zur Gesundheitsuntersuchung nach Stuttgart in das amerikanische Konsulat. Nicht lange nach meiner Rückkehr nach Höxter wurden meine Eltern informiert, dass ich angenommen war.
Ich glaube, meine Gefühle waren sehr gemischt – einerseits war das ein großes Abenteuer, auf das ich mich da einließ; andererseits war da die Trauer, meine Eltern zu verlassen (obwohl wir hofften, es würde nur eine vorübergehende Trennung sein), und schließlich die Angst vor der Zukunft. Meine Eltern waren natürlich ganz traurig. Sie versuchten mich zu trösten und gaben mir eine Menge Ratschläge, wie ich mich in Amerika verhalten sollte.
Als der Morgen der Abreise kam, konnte meine Mutter nicht die Kraft aufbringen, um mit mir zum Bahnhof zu gehen. Mein Vater und ich gingen langsam. Schweigend sahen wir zu, wie eine Abteilung der Wehrmacht die Marktstraße hinunter marschierte – mein letzter Eindruck von Höxter.“
32

Zwölf Juden verließen Höxter in den Jahren 1933 bis 1935, von denen die meisten nur kürzere Zeit in Höxter gewohnt hatten und an andere Orte verzogen. Es waren jedoch vorerst nur einzelne, die schon in den Anfangsjahren der Nazi-Herrschaft aus Höxter ins Ausland emigrierten. Die übrigen Höxteraner Juden fühlten sich offenbar noch sicher genug, planten wohl noch keine Auswanderung und blieben in Höxter.33

  • Albert Bachmann (* 1909 in Höxter) machte in Stadtoldendorf eine Schuhmacherlehre und arbeitete in den folgenden Jahren als Dekorateur an verschiedenen Orten. Im Februar 1933 kehrte er für wenige Monate nach Höxter zurück und emigrierte am 22. Juli 1933 nach Amsterdam.
  • Das erst 1931 aus Beverungen nach Höxter gezogene Ehepaar Ernst Griesbach (* 1882) und Grete geb. Ruhstadt (* 1894) zog bereits im August 1933 mit der Tochter Hannelore (* 1919) nach Saarbrücken in das unter Völkerbundsmandat stehende Saargebiet. Hannelore emigrierte 1938 von Lyon aus in die USA. Die Elern überlebten (vermutlich in Frankreich) und folgten der Tochter 1946 in die USA.
  • Grete Netheim (* 1886 in Höxter), eine Schwester des Höxteraner Kaufmanns Paul Netheim, emigrierte am 4. Juli 1934 nach Australien, wohin zwei Brüder ihres Großvaters im 19. Jahrhundert ausgewandert waren.
  • Rudi Pins (* 1920 in Höxter), nach dem Abgang des aus Beverungen stammenden Günter Griesbach letzter jüdischer Schüler des Gymnasiums, verließ am 1. November 1934 das KWG. Er emigrierte am 29. November 1934 in die USA und wurde dort bei einer jüdischen Familie in Cleveland aufgenommen.

Anmerkungen

1 Vgl. Heinrich Trost, „Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Stadt und Kreis Höxter“ in: Huxaria, Sonderausgabe zum 50-jährigen Bestehen, November 1933.
2 Siehe dazu Ernst Würzburger, Höxter: Verdrängte Geschichte […], S. 58 ff.
3 Höxtersche Zeitung, 21.3.1933.
4 Vgl. https://www.stolpersteine-fuer-braunschweig.de/frank/ [8.2.2024].
5 Vgl. Protokoll der Stadtverordnetenversammlung, 3.4.1933, StA Hx, B XX,2 (1931-36).
6 StA Hx, Magistrat M 883, 4.5.1933.
7 Stadtverordnetenversammlung, 27.3.1933, StA Hx, B XX,2 (1931-36), S. 81; Magistrat, StA Hx, M 834, 4.4.1933. – Erst 1983 wurden die Ehrenbürgerschaften von Hitler und Hindenberg offiziell gelöscht. Protokoll der Ratssitzung, 30.6.1983.
8 Der erste April fiel jedoch auf einen Samstag, also den Sabbat, an dem die jüdischen Geschäfte geschlossen waren. Deshalb wurde der Boykott nachträglich vorgezogen.
9 Kopie der Postkarte im Archiv der Jacob Pins Gesellschaft.
10 HxZ, 1.4.1933. – Vor allem wohl wegen der mangelnden Teilnahme der Bevölkerung wurde der Boykott nicht wie geplant nach einer Dreitagepause fortgesetzt, sondern am 4. April offiziell für beendet erklärt.
11 Klassenlehrer von Jacob Pins am KWG.
12 Jacob Pins an Bärbel Werzmirzowsky, 28.9.1988.
13 Heinrich Trost.
14 Georg Möllers, Jüdische Tierärzte im Deutschen Reich in der Zeit von 1918 bis 1945. Hannover, 2002, S. 209.
15 Bereits vor 1914 „nicth-arische“ Beamte wurden vorläufig noch im Dienst belassen – die es in Höxter aber ebenfalls nicht gab.
16 Der „Verlust meines Notariats“ folgte aber wenige Jahre später. StA Hx, …, 11.9.1936.
17 Rudy Pins, Erinnerungen (2007/08). – Marianne Netheim der Tochter des aus Höxter stammenden Max Netheim, wurde 1933 zunächst der Besuch des Oberlyzeums verwehrt. Sie wurde dann aber doch aufgenommen, sicher weil ihr Vater ‚Frontkämpfer‘ des Ersten Weltkriegs war. https://gidw.de/images/downloads/schulgeschichte/1933-1945.pdf. [8.2.2024]
18 Würzburger, Höxter: Verdrängte Geschichte […], S. 184.
19 Rosa Huppermann, 7.2.1988.
20 Ebd.
21 StA Hx, … Ovenhausen…
22 StA Hx, … 30.4.1935.
23 Die als junge Frau bei der Firma Flotho beschäftigte Rosa Hupperman geb. Wöstefeld erinnerte sich am 7.2.1988: „Am 1. Mai bin ich nur einmal mitmarschiert. Das war 36. Das weiß ich noch. Vier Stunden hat das gedauert. In ganz Höxter. Alle Betriebe mussten mitmarschieren. Und nachher hat der Chef das so eingerichtet: Wir kriegten zwar den 1. Mai bezahlt, aber der Chef hat uns beim Betriebsappel gefragt: Was sollen wir machen? Sollen wir so ’ne Fahrt machen so ’ne Fahrt machen? Sollen wir ’nen Ausflug machen oder sollen wir den 1. Mai hier feiern, und da waren sie alle immer für ’ne Dampferfahrt. Da waren wir immer alle schön zusammen, auf einem Haufen. Wir hatten schon die Zugfahrt hinter uns, wir hatten schon verschiedene Fahrten hinter uns, aber auf dem Dampfer zu bleiben, war immer noch das Schönste, Da brauchten wir nicht mit, da wurde gefeiert. Oh, das war was Herrliches. Da machte ich mit, da war Ja Betriebsfahrt. Dann nahmen sie immer den Kaiser Wilhelm, das war der größte Dampfer. Und alles frei den ganzen Tag, die ganze Verpflegung frei und so, mit Musikkapelle. Oh, das war was Herrliches!“
24 Heinrich Alsweh, 4.8.1988.
25 StA Hx, D-Hx-Land 034 018, 13.11.1935.
26 Ernst Würzburger, Verdrängte Geschichte […], S. 185.
27 Am 8.5.1933 gratulierte die Huxaria der 80-jährigen Helene Netheim in ihrem redaktionellen Teil am 8.5.1933 zum Geburtstag und druckte in ihrer Jubiläumsausgabe zum 50-jährigen Bestehen im November 1933 auch noch eine Anzeige de Geschäfts ab.
28 NS-Volksblatt, 12.12.1934
29 StA Hx, Schreiben des Landrats an die Gemeinden des Kreise Höxter, Juli 1935.
30 Heinrich Alsweh, 4.8.1988.
31 Dass der 71-jährige Metzgermeister Simon Himmelstern im Juni 1933 sein Geschäft aufgab, dürfte eher aus Altersgründen geschehen sein. Das von der Tochter Regine im November 1932 im ersten Stock eröffnete Friseurgeschäft wurde bereits im März 1933 wieder geschlossen.
32 Rudi Pins, Erinnerungen (2007/08), http://www.jacob-pins.de/?article_id=286&clang=0.
33 Eine Darstellung des Schicksals der aus Höxter geflohenen Juden folgt später.

Fritz Ostkämper, 20.10.2024
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de