Jüdische Bürger in Höxter

Eisschollen auf der Weser. Im Hintergrund Lüchtringen. Gemälde aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts von R. Steinberg (aus der Lüchtringer Familie?)
Eisschollen auf der Weser. Im Hintergrund Lüchtringen. Gemälde aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts von R. Steinberg (aus der Lüchtringer Familie?)

Familie Steinberg, Lüchtringen und Höxter

Die Vorfahren der Familie Steinberg, deren Spuren in der Gegend um Höxter bis in das 20. Jahrhundert reichen, kamen bereits im 18. Jahrhunderts nach Lüchtringen, wo der dort lebende Mordechai (Marcus) 1808 den Namen Steinberg annahm (vielleicht wegen einer Verwandtschaft mit der Familie Steinberg in Steinbergen bei Bückeburg). Die Familie zählte offenbar zu den recht gut situierten Metzger-, Händler- und späteren Kaufmannsfamilien, so dass Mordechais vor 1822 nach Höxter verzogenen Söhne Simon, Heinemann und Michael in diesem Jahr mit einem Einkommen von 200 bis 400 Thalern im oberen Drittel der in Höxter ansässigen Juden lagen.

Mordechai hatte mit seiner anscheinend vor 1808 gestorbenen Frau Gelle Michael vier Kinder. Von dem jüngsten Sohn Simon ist nur bekannt, dass er vermutlich 1818 nach seiner Heirat mit Betti Rosenthal (ca. 1786–1869) nach Höxter zog. Die Ehe blieb wohl ohne Kinder, und Simon Steinberg starb jung, so dass seine Frau allein in Höxter zurückblieb, wo sie nach ihrem Tod auf dem jüdischen Friedhof begraben wurde.

Mordechais Tochter Kindel (1767–1847) lebte mit ihrem aus Fürstenau stammenden Mann Jacob Meyer Judenberg (1773–vor 1847) in Lüchtringen und Fürstenau. Während ihr mit Jette Rose (1801–1887) verheirateter ältester Sohn Marcus Judenberg (1807–1855) in Lüchtringen blieb, wo sich seine Nachkommen später in Gudenberg umbenannten, lebte der mit der aus Bergheim stammenden Rica Cohn (1809–1883) verheiratete Sohn Meyer Judenberg (1809–1868) in Fürstenau, und die Tochter Caroline (Keile) (1810–1857) war ebenfalls in Fürstenau mit Nathan Bachmann (1819–1896) verheiratet. Viele Nachkommen dieser Familien wurden in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches ermordet, wenn sie sich nicht rechtzeitig ins Exil retten konnten.

Dagegen zog der mit Rebecca Lippmannssohn Mosberg (1772–1856) verheiratete Michael Steinberg (1777–1829) als Fleischer vor 1822 zumindest für eine Zeit nach Höxter. Er wurde aber nach seinem Tod offenbar als erster auf dem neu angelegten jüdischen Friedhof in Lüchtringen begraben, ebenso wie später seine Frau Rebecca. Zwei der Kinder Michael Steinbergs starben wohl jung. Dagegen hatte seine Tochter Jette (1805–1855) hatte mit ihrem aus Alverdissen stammenden Mann Wolf Westfeld (* 1787) in Lüchtringen vier Kinder, von denen die Tochter Elise (* ✡1830) schon mit einem Monat starb. Über die Tochter Gelle (* 1838) ist nichts Weiteres bekannt. Ihr Sohn Julius (* 1831) heiratete anscheinend eine Hanne Michaelis und verließ Lüchtringen, ebenso wie seine Schwester Emilie (1833–1866), die mit ihrem Mann Gerson Silberberg (1818–1871) in Stahle fünf Kinder hatte.

Der 2008 zerschlagene Grabstein von Samson Hochfeld in Lüchtringen nach seiner Wiederherstellung 2009
Der 2008 zerschlagene Grabstein von Samson Hochfeld in Lüchtringen nach seiner Wiederherstellung 2009

Michael Steinbergs Tochter Rieke (1817–1845) heiratete den Vördener Moses Israelsohn (1816–1899). Die Ehe blieb jedoch ebenso ohne Kinder wie die beiden Ehen ihrer Schwester Fanny (1811–1857) mit dem in Höxter geborenen „Musikus“ Samson Hochfeld (1809–1854) und mit Gerson Silberberg (1818–1871) aus Stahle. Samson Hochfelds Grabstein blieb als einziger auf dem jüdischen Friedhof in Lüchtringen erhalten, bis er 2008 zerschlagen, aber von engagierten Einwohnern des Dorfes wieder zusammengesetzt wurde.

Heinemann Steinberg und seine Nachkommen


Nur auf Mordechais Steinbergs Sohn Heinemann gehen die weiteren Träger des Namens Steinberg im hiesigen Raum zurück. Ebenso wie seine beiden Brüder zog auch Heinemann Steinberg (1780–1846) vor 1822 nach Höxter, wo er 1824 die vermutlich aus Aerzen stammenden Betti, geb. Blumenthal (1803–1885) heiratete. Das Ehepaar wohnte in dem heute verschwundenen Haus Wegetalstraße 1, wo Heinemann Steinberg in diesen Jahren ein Bekleidungsgeschäft aufbaute. Er starb jedoch mit 66 Jahren, und seine 23 Jahre jüngere Frau heiratete in zweiter Ehe den um 1850 aus Braunschweig zugezogenen Simson Baer Rosenberg (1802–1877), der auch das Bekleidungsgeschäft weiterführte.

Nach Simson Baer Rosenbergs Tod wurde das Geschäft bis zur Schließung unter seinem Namen weitergeführt (Stadt- und Dorfzeitung 17.11.1883)
Nach Simson Baer Rosenbergs Tod wurde das Geschäft bis zur Schließung unter seinem Namen weitergeführt (Stadt- und Dorfzeitung 17.11.1883)
Der zerstörte Grabstein von Betty Rosenberg, verw. Betty Steinberg, geb. Blumenthal auf dem Friedhof in Höxter
Der zerstörte Grabstein von Betty Rosenberg, verw. Betty Steinberg, geb. Blumenthal auf dem Friedhof in Höxter

Aus dieser zweiten Ehe gingen keine Kinder mehr hervor, aber Betty Steinberg brachte die fünf Kinder Steinberg mit in diese Ehe. Während ihre Tochter Fanny (1837–1859) jung starb und in Höxter begraben wurde, war die älteste Tochter Karoline (* 1829) seit 1851 mit dem in Hausberge wohnenden Adolf Sabelsohn verheiratet, und die jüngste Schwester Regine (* 1841) heiratete 1867 den Bochumer Moses Sussmann. Weitere Informationen über diese drei Kinder fehlen.

Der Grabstein von Goldine Michaelis auf dem jüdischen Friedhof in Höxter
Der Grabstein von Goldine Michaelis auf dem jüdischen Friedhof in Höxter

Genaueres ist dagegen über Heinemann und Betty Steinbergs Tochter Goldine (1833–1905) bekannt, die den vermutlich in Lügde geborenen Emil (Michael) Michaelis *( 1835) heiratete. Sie wohnte bis nach Mitte der 1870er Jahre in Köln, wo vier der fünf Kinder geboren wurden. Eine Tochter kam in Lemgo zur Welt. Goldines Mann Emil Michaelis war Kaufmann, und seine Geschäftsreisen führten ihn immer wieder unter anderem in die Niederlande und sogar bis nach Johannesburg (Südafrika), wo er mit Verwandten in Geschäftsbeziehungen stand. Er war also wohl oft und für längere Zeit abwesend, während seine Frau Goldine mit den Kindern allein in Köln zurückblieb.

So entschloss sie sich zwischen 1875 und 1880, wieder in ihre Geburtsstadt Höxter zurückzukehren, wo es Verwandte gab und wo auch die Kinder aufwuchsen und die Schule besuchten, während ihr Mann nur zu Besuchsreisen nach Höxter kam, so etwa 1891 beim Abitur des Sohns Alfred am KWG. Nach und nach zogen auch Goldines Kinder aus Höxter fort, so dass die Mutter allein zurückblieb. Sie starb 1905 und ihr Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Höxter ist anscheinend trotz der Verwüstungen des Dritten Reichs unzerstört erhalten.

Heinemann Steinbergs einziger Sohn Moritz (Marcus) Steinberg (* 1836–1907) übernahm das von seinem Großvater begründete und von seinem Vater und seinem Stiefvater inzwischen in die Markstraße 4 verlagerte Geschäft und baute es in den folgenden Jahren zum Großhandel (Hamburger Engros) aus. Ein Commis und zwei Lehrlinge wohnten ebenfalls mit im Haus. Seit 1866 war er verheiratet mit der aus Münster stammenden Laura Meier (* 1846) und hatte mit ihr nur vier Töchter, so dass der Name Steinberg in Höxter schließlich verschwand. Zudem verließen die Töchter Höxter nach ihrer Heirat. Auch Moritz Steinberg und seine Frau gingen später nach Bonn, wo die zweite Tochter Hedwig in die Familie Koopmann eingeheiratet hatte.

Stadt- und Dorfzeitung, 29.10.1914 u.ö.
Stadt- und Dorfzeitung, 29.10.1914 u.ö.

Über Moritz Steinbergs älteste Tochter Anna (* 1867) ist nur bekannt, dass sie mit dem in Duisburg lebenden Gustav Levy verheiratet war. Zu ihrer Schwester Emmi (* 1871) liegen keine Informationen vor. Ihre Schwester Hedwig (1869–1935) blieb noch einige Zeit in Höxter. Sie heiratete 1895 in dessen zweiter Ehe den in Gennep geborenen Jacob Koopmann (1850–1923) aus Bonn, der in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts ebenfalls für ein paar Jahre nach Höxter kam. Hier erwarb auch dessen in erster Ehe geborene Sohn Walter (* 1889) am KWG 1905 die Mittlere Reife. Er fiel 1917 im Ersten Weltkrieg.

Paula Stein, geb. Steinberg (Nr. 961) auf der Liste der im Ghetto Lodz „Eingesiedelten“ aus Berlin
Paula Stein, geb. Steinberg (Nr. 961) auf der Liste der im Ghetto Lodz „Eingesiedelten“ aus Berlin

Moritz Steinbergs jüngste Tochter Paula (1872–1942) wurde ein Opfer des Holocaust. Sie heiratete den aus Wolfhagen stammenden Paderborner Willy Kron (* 1870) und nach dessen Tod einen nicht bekannten Angehörigen einer Familie Stein. Sie wurde am 18.10.1941 aus Berlin zunächst in das Ghetto Lodz deportiert und dann am 7.5.1942 im Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof) in einem „Gaswagen“ mit Abgasen ermordet.

Fritz Ostkämper, 25.5.2015
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de