Die Viehhändler Dillenberg – Ovenhausen, Höxter und Fürstenau
Die Ursprünge der Familien Dillenberg liegen vermutlich in Franken oder in Hessen, von wo Familienangehörige wohl im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in den hiesigen Raum zogen und hier 1808 ihren Familiennamen ihrem Herkunftsort annahmen. So kam auch Jacob M. Dillenberg (1752–1837) nach Ovenhausen und hatte hier mit seiner Frau Kindel Heinemann (1758–1832) vier Kinder.
Jacob Dillenberg, der 1809 in Ovenhausen in der Steuerliste als Klein- und Gewürzhändler verzeichnet ist, zog anscheinend später mit seiner Frau zu der Tochter Bele (1798–1862), die in Vörden mit dem Buchbinder Simon Goldschmidt (* 1789) zehn Kinder hatte, wurde aber nach seinem Tod auf dem jüdischen Friedhof in Ovenhausen begraben.
Sein Sohn Moses Dillenberg (1802–1888), verheiratet mit der aus Aerzen stammenden Sophie Lewo (Levy) (1807–1867), lebte in Ovenhausen und wird in den Quellen als Schächter genannt, war aber wohl auch als Viehhändler tätig. Offenbar kam er zu einem sicheren Einkommen, so dass er noch vor 1869 das Haus Nr. 90a (heute Hauptstraße 28) erbauen konnte.
Das Ehepaar hatte acht Kinder, von denen aber nur ein Sohn auf Dauer in Ovenhausen blieb. Der Sohn Salomon (* 1842) wanderte 1868 nach New York aus, wo er mit seiner Frau Caroline fünf Kinder hatte. Die Söhne Joseph (1844–1916) und Nathan (1846–1925) gründeten in Höxter eigene Familien (s.u.), und die Tochter Jeanette (* 1839) heiratete in die Familie Bierhoff in Borgentreich ein. Das Schicksal der anderen Kinder ist ungeklärt.
Meyer Dillenberg und seine Kinder
Der Sohn Meyer Dillenberg (1837–1910) blieb bis zu seinem Tod in Ovenhausen. Er übernahm den elterlichen Viehhandel und heiratete 1869 die Borgentreicherin Johanna Bierhoff (1849–1940), die die unehelich geborene Tochter Julie mit in die Ehe brachte.
Dazu bekam das Ehepaar acht weitere Kinder, von denen zwei oder drei jedoch als Kinder starben. Während die Stieftochter Julie (1869–1942) und ihre Schwester Karoline (* 1873) unverheiratet blieben, heiratete die Tochter Sara (1870–1904) in die Familie Bachmann in Fürstenau ein. Die anderen Kinder blieben vorläufig im elterlichen Haus. Die Söhne Hermann (* 1884) und Abraham (1887–1918) übernahmen nach dem Tod des Vaters den Viehhandel, und auch der jüngste Sohn Max (* 1890) trat nach dem Besuch des Gymnasiums in das Geschäft ein.
Obwohl Hermann Dillenberg bereits 1914 die Fürstenauerin Rosa Löwenstein (* 1882) heiratete, blieb er noch einige Jahre in Ovenhausen, wo auch die beiden Söhne geboren wurden, bevor die Familie nach Fürstenau zog (s.u.). Denn zunächst wurden Hermann, Abraham und Max im Ersten Weltkrieg Soldat. Abraham fiel 1918 in Frankreich bei Le Hamel, und Hermann und Max kehrten verwundet nach Ovenhausen zurück.
Max, Julie und Karoline Dillenberg in Ovenhausen
Meyer Dillenbergs Stieftochter Julie, die Tochter Karoline (Lina) und der Sohn Max lebten weiter in Ovenhausen. Max besuchte bis zur Mittleren Reife (1910) das Gymnasium in Höxter und führte den Viehhandel in Ovenhausen in den 1920er Jahren allein weiter. Wie die Schwestern Julie und Karoline blieb er unverheiratet. Während diese mit der später erblindeten Mutter Johanna neben dem Haushalt in einem kleinen Laden im Haus Flaschenbier, eingelegte Heringe und Lebensmittel verkauften, betrieb Max bis ins Dritte Reich in Ovenhausen einen florierenden Viehhandel, für den er mit seinem blauen Opel die Geschäftspartner und die Bauern der Umgebung aufsuchte. Seine Verbindungen reichten bis nach Dortmund.
Im Dorf war er wegen seiner Hilfsbereitschaft angesehen und respektiert, auch weil er bei Sammlungen reichlich spendete, Geld für Arztrechnungen auslegte und wenn nötig Operationen vorfinanzierte. Außerdem stellte er seine Pferde in Notfällen für einige Tage kostenlos zur Verfügung und half den berittenen Offizieren beim Schützenfest auf diese Weise aus. Auch bei einem Brand im Dorf legte er nach einem Bericht des Bürgermeisters tatkräftig Hand an. Regelmäßige Besuche im Gasthaus, wo er entgegen den jüdischen Speisegesetzen auch Schweinefleisch aß, trugen zu seiner Akzeptanz im Dorf bei. Allerdings gab es auch Ressentiments, denn verliehenes Geld forderte er manchmal mit Nachdruck zurück.
Als Ende September 1935 im Haus die Fensterscheiben eingeworfen wurden, reagierte die Bevölkerung mit deutlicher Ablehnung, und der Verdächtige wurde sogar aus der NSDAP ausgeschlossen. Im September 1938 wurde an die Dielentür mit Ölfarbe „Der Jude ist ein Blutsauger und Schacherer“ geschrieben, Fensterläden und Haustür wurden mit Kalkmilch bestrichen, und kurz danach wurde Max Dillenberg die Gewerbeberechtigung entzogen. Auch das kleine Lebensmittelgeschäft musste geschlossen werden.
Nach der Pogromnacht 1938 wurde Max Dillenberg für sechs Wochen im KZ Buchenwald inhaftiert und erst unmittelbar vor Weihnachten nach Ovenhausen entlassen. Danach musste er in einer Papierfabrik in Godelheim arbeiten und den Weg dorthin mit dem Fahrrad zurücklegen.
Nachdem die erblindete Mutter Johanna 1940 gestorben war, starb 1942 zwei Wochen vor der Deportation von Max und Lina Dillenberg auch die ältere Stiefschwester Julie. Der verpflichtende Namenszusatz „Sara“ lässt annehmen, dass Julies Grabstein noch von ihren Geschwistern in Auftrag gegeben wurde.
Wenige Tage darauf erhielten Max und Lina Dillenberg den „Evakuierungsbefehl“ nach „Osten“. Wie andere jüdische Familien verschenkten die Dillenbergs Wertgegenstände, deren Mitnahme verboten war. Eine Nachbarsfamilie hat noch heute Gläser der Dillenbergs in ihrem Besitz. Die Wohnungseinrichtung und die Geräte des Viehhandels wurden nach ihrem Abtransport im Saal der örtlichen Gaststätte Litto versteigert.
Zeitzeugen erinnern sich, dass Max Dillenberg beim Abtransport mehrere Paar Hosen anzog und bei Nachbarn um einen warmen Pullover bat. Am 31.3.1942 wurden die Geschwister über Bielefeld in das Warschauer Ghetto deportiert. Dort verliert sich Karoline Dillenbergs Spur, während ihr Bruder Max 1943 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet wurde. Auf Antrag der ins Exil geflohenen Höxteraner Cousine Käthe wurden Max und Lina Dillenberg 1949 für tot erklärt.
Die Familie Dillenberg in Höxter
Nur noch wenige Spuren erinnern heute daran, dass auch in Höxter in der Stummrigestr. 45 und 47 einmal zwei Familien Dillenberg lebten, die hier gut 60 Jahre lang ihren Viehhandel betrieben. Selbst auf dem jüdischen Friedhof, wo es bis zu seiner Zerstörung 1944 noch sieben Grabstellen sowie Gedenktafeln für die drei im Ersten Weltkrieg gefallenen Söhne gab, ist heute nur noch ein Grabstein erhalten.
Joseph und Nathan Dillenberg, Brüder des oben genannten Meyer, zogen vor 1880 von Ovenhausen nach Höxter, wo sie in der Stummrigestraße 45 und 47 ebenfalls im Viehhandel tätig waren und rund um die Stadt über größere Weideflächen verfügten.
Die beiden Brüder waren in der Stadt akzeptiert, aber nicht unbedingt geachtet. Sie hatten sich zwar nie etwas zu Schulden kommen lassen, jedoch herrschten Viehhändlern gegenüber generell Vorurteile und Misstrauen, weil ihnen Betrug und Wucher nachgesagt wurde. Der Vieh- und Pferdehandel aber lag in ländlichen Gebieten wie in Höxter aus historischen Gründen zumeist in den Händen von Juden. Vor allem amüsierte man sich in der Stadt aber über das gespannte Verhältnis zwischen den beiden Brüdern, wie eine von älteren Höxteranern mehrfach berichtete Anekdote erzählt:
Dann waren da auch noch die Gebrüder Dillenberg auf der Stummrigenstraße, Nathan und Joseph, die ja in Erzfeindschaft miteinander lebten, die beiden Brüder. Und das Laubhüttenfest kam. Da kam Joseph, der Jüngere, nach Nathan, schellte dort an und rief dann auf Platt: „Nathan, wir wollen uns wieder verdregen.“ – Wir wollen uns wieder vertragen. Gut. Und zwei Tage später, dann ging Nathan rüber und schellte: „Et blift alles beim alten.“ Dann war das Jahr wieder Spinnefeindschaft. (Zeitzeuge Heinrich Alsweh)
Joseph Dillenberg (1844–1916) heiratete 1880 Johanna Bachmann (1857–1936) aus Fürstenau, während sein Bruder Nathan Dillenberg (1846–1925) mit Selma Heinemann (1861–1924) aus Reker verheiratet war. Von Nathan ist bekannt, dass er im deutsch-französischen Krieg 1870/71 Soldat war und in den folgenden Jahrzehnten als Ehrenmitglied dem Kriegerverein und dem Bund ehemaliger 55er angehörte, wie auch die Anzeigen bei seinem Tod 1925 belegen.
Die beiden Brüder hatten zusammen 19 Kinder, Joseph zehn und Nathan neun. Sieben von ihnen kamen tot zur Welt oder starben als Kleinkinder.
Emmy Dillenberg (1885-1923), Tochter von Joseph Dillenberg, heiratete Anfang 1923 den Viehhändler Michael Kupfer (* 1885) aus Schmalnau (Fulda). Sie starb jedoch bereits mit 38 Jahren, wenige Monate nach der Heirat, und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Höxter begraben. Ihr Mann Michael Kupfer wohnte in den folgenden Jahren zeitweise in Stadtoldendorf. Er floh 1936 nach Amsterdam/NL und wurde Anfang 1938 zur Verhaftung ausgeschrieben. Er ging vermutlich ins Exil.
Gefallen im Ersten Weltkrieg
Für das Vaterland, „für Kaiser und Reich“ in den Krieg gezogen, fielen drei Söhne der beiden Familien als Soldaten der Infanterieregimenter 55 und 56 in Nordfrankreich. An sie erinnerten einmal drei heute nicht mehr vorhandene Gedenktafeln auf dem jüdischen Friedhof in Höxter, und auf den im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzenen Gedenktafeln des Kriegerehrenmals der Stadt waren sie ebenfalls verzeichnet.
Max Dillenberg (1889–1914), Sohn von Nathan, der 1907 am KWG seine Mittlere Reife abgelegt und danach in Berlin bei der Deutschen Bank gearbeitet hatte, brachte es bis zum Unteroffizier. Er fiel schon im November 1914 bei Souchez in Nordfrankreich. Wie die Angehörigen der anderen Gefallenen erhielten auch die Eltern von Max Dillenberg ein vom Kaiser unterschriebenes Gedenkblatt, das natürlich heute nicht mehr vorhanden ist. Im Stadtarchiv Höxter erhalten ist aber die Bestätigung des jüdischen Predigers Isaak Weinberg, der den Eltern das Gedächtnisblatt überbrachte.
Walter Dillenberg (1891–1916), Sohn von Joseph, über den nichts Weiteres bekannt ist, war ebenfalls Soldat im Infanterieregiment 55. Mit anderen schickte er 1915 noch zweimal einen „echt deutschen Gruß“ mit dem Wahlspruch „Feste druff!“ an die Zeitung nach Höxter. Er fiel im Januar 1916 bei Richebourg l’Avone und wurde auf dem Friedhof in Illies begraben.
Noch im letzten Kriegsjahr fiel Anfang April 1918 als dritter Iwan Dillenberg (1884–1918), Sohn von Nathan, bei Moreuil. Er hatte nach vierjährigem Besuch das KWG verlassen, um Kaufmann zu werden, und war in den Handel des Vaters eingetreten. Im Krieg wurde er mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet.
Verfolgung und Deportation im Dritten Reich
Auf die übrigen acht Kinder von Joseph und Nathan wartete ein noch schlimmeres Schicksal, denn sie erlebten die fürchterlichen Exzesse des Dritten Reiches, denen nur ein Sohn und eine Tochter der beiden Familien durch die Flucht in Exil entkamen, und nur eine Schwiegertochter überlebte die Deportation.
Ulla Julie Dillenberg (*1882), älteste Tochter von Nathan, lebte im Elternhaus. Weitere Informationen über ihr Leben sind nicht bekannt. Sie wurde im Dez. 1941 mit den anderen Familienangehörigen nach Riga deportiert und kam dort um.
Ihre Schwester Martha Dillenberg (* 1891) heiratete den 1884 in Neu-Barkoschin (Westpreußen) geborenen Albert Bukofzer (* 1884). Das Ehepaar lebte in Nürnberg, wo 1929 die Tochter Irmgard geboren wurde. Bereits 1935 schickten die Eltern die Sechsjährige aus der Stadt der Reichsparteitage in das ruhigere Höxter, wo sie bei Marthas Geschwistern wohnte und die Schule besuchte. Nach der Pogromnacht zogen sie dann auch selbst im Dezember 1938 nach Höxter.
Weil die Tochter Irmgard seitdem aus den öffentlichen Schulen ausgeschlossen waren, schickten die Eltern sie Anfang 1939 zur Jüdischen Schule in Detmold, wo sie in der Hornschen Straße 20 bei der Lehrerin Paula Paradies wohnte. Für wenige Monate war sie im Sommer 1939 auch Schülerin der Israelitischen Gartenbauschule in Hannover-Ahlem, bevor sie wieder nach Detmold zurückkehrte und im „Judenhaus“ Hornsche Straße 35 wohnen musste. Die ganze Familie wurde mit den anderen Familienmitgliedern am 13.12.1941 von Höxter nach Riga deportiert, wo Ehemann und Tochter bald umkamen, während Martha am 9.8.1944 nach Stutthof verschleppt wurde. Danach verliert sich auch ihre Spur.
Marthas 1892 geborener Bruder Richard Dillenberg besuchte nach der Bürgerschule Höxter von 1901 bis 1906 das KWG und trat danach zunächst als „Handelsgehilfe“ in den Viehhandel des Vaters ein. Er blieb unverheiratet. Nach dem Tod des Vaters 1925 führte er den elterlichen Viehhandel bis ins Dritte Reich weiter, jedoch wurde es den Juden nach und nach erschwert, das Vieh auf die vor der Stadt liegenden Wiesen auszutreiben, so dass Dillenberg dafür Jungen aus der Stadt anheuerte. Außerdem stellte er zumindest in den Jahren 1936 bis 1938 regelmäßig junge Juden an, die als landwirtschaftliche Eleven oder Gehilfen im Viehhandel mitarbeiteten.
Auch sonst nahmen die Schwierigkeiten immer mehr zu. Als Dillenberg 1935 vom Gericht zur Zahlung der bereits angemahnten Rechnung einer Reparaturwerkstatt verurteilt wurde und daraufhin den Offenbarungseid ablegte, nutzte das NS-Volksblatt den Prozess zur grundsätzlichen Diffamierung aller Juden und der jüdischen Religion:
In der Folgezeit verschärften sich die Repressalien weiter. Mehrfach wurden die Fenster und Häuser der Dillenbergs nachts mit Kalkfarbe und rassistischen Sprüchen beschmiert, so dass sogar die zunächst noch nichtjüdischen Dienstmädchen schimpften, weil sie die Arbeit hatten, den „Dreck“ dieser „Schweine“ wieder zu entfernen. In der Pogromnacht am 9./10.11.1938 warfen die SA-Horden die Fenster ein. Brutal und mit Schlägen wurde die Familie aus dem Haus gezerrt. Richard selbst wurde im Keller des Rathauses eingesperrt und danach mit den anderen männlichen Juden in das KZ Buchenwald verbracht, von er erst vier Wochen später nach Höxter zurückkehren durfte. Über die Pogromnacht berichtet eine Zeitzeugin:
Da wohnten wir in der Weser-Kaserne. Und da haben sie die Juden von drüben rausgeholt, und die Polizei hat draußen und die SA haben auch aufgepaßt, dass wir nicht hinter der Scheibe lugten. Aber wir haben doch ganz vorsichtig die Gardinen an die Seite gemacht, und was wir dann mitkriegen konnten, war: Da war nämlich bei dem Juden – die kriegten ja kein Dienstmädchen mehr – da war ein jüdischer Haushelfer mit drin, der hatte ’nen Buckel, und eine Schwester hatte ’nen Buckel, und da haben sie feste draufgehauen, die haben sie misshandelt. (Zeitzeugin Rosa Huppermann)
Am 13.12.1941 wurde Richard Dillenberg mit den anderen Familienangehörigen nach Riga deportiert und ermordet.
Henny Dillenberg (* 1894), jüngste Tochter von Nathan, blieb anscheinend weitgehend im elterlichen Haus. Weitere Lebensumstände sind nicht bekannt. Sie wurde am 13.12.1941 mit den anderen Familienangehörigen nach Riga deportiert und im Aug. 1944 nach Stutthof verschleppt. Dort kam sie am 15.1.1945 um.
Julius Dillenberg (* 1881), ältester Sohn von Joseph, der nach vier Jahren am KWG (1891–1895) in den Viehhandel der Familie eingetreten war, übernahm 1916 nach dem Tod seines Vaters die Geschäfte, während das Haus und die Grundstücke noch im Besitz der Mutter verblieben. 1933 wurde der ganze Besitz jedoch aus unbekannten Gründen zwangsversteigert.
Daraufhin zog Julius Dillenberg mit seiner aus Herne stammenden Frau Hertha Weinberg (* 1902), die er 1932 geheiratet hatte, in die Lütmarser Straße. Die Ehe blieb kinderlos. Im Juli 1937 entschloss sich das Ehepaar (nach kurzer Zwischenstation bei der Familie seiner Frau in Herne) zur Flucht nach Holland, wo sie bei Karl Weinberg, sicher einem Verwandten seiner Frau, für die nächsten knapp sechs Jahre unterkamen.
Auch dort war die Sicherheit jedoch nur von trügerischer Dauer, denn am 21.4.1943 wurden Julius Dillenberg und seine Frau über das holländische Lager Westerbork nach Theresienstadt deportiert. Von dort wurde Julius Dillenberg eineinhalb Jahre später im Oktober 1944 zur Ermordung nach Auschwitz verschleppt. Seine gut 20 Jahre jüngere Frau Hertha überstand Hunger und Elend in Theresienstadt und kehrte nach dem Krieg nach Amsterdam zurück, wo sie 1949 den ebenfalls verwitweten Nichtjuden Gerrit Willem Nijhof (1898–1985) heiratete. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.
Josef Dillenbergs Tochter Sophie (* 1888) heiratete den Viehhändler Siegfried Blumenthal (* 1885) in Castrop-Rauxel und hatte mit ihm dort vier Kinder. 1938 floh die Familie ins Exil nach Amsterdam, entkam jedoch auch dort nicht der Verfolgung und Deportation. Bereits im September 1942 wurden die älteren Söhne Walter (* 1923) und Günter (* 1925) nach Auschwitz deportiert und ermordet. Am 20.7.1943 wurden auch die Eltern mit den zwei jüngeren Söhnen Kurt (* 1927) und Helmut (* 1929) über das Lager Westerbork zur Ermordung nach Sobibor deportiert.
Über die Deportation der Familie Blumenthal aus Amsterdam berichtet der holländische Schriftsteller Simon Vinkenoog, bester Freund des Sohns Helmut aus Kindertagen:
Een grüne Polizist op de stoep met een geweer in de aanslag, en zij kwamen één voor één het tiental treden van de beletage af en verlieten de straat, gepakt en gezakt – op de hoek bij de Eerste van der Helststraat stond een open vrachtwagen waar zij in moesten stappen. Verbijsterd hadden mijn moeder en ik het zien gebeuren, vanachter de vitrage gadegeslagen.
Seit 2013 erinnern sieben Stolpersteine in Castrop-Rauxel an das Schicksal der Familie Blumenthal.
Nur zwei der Kinder von Josef und Nathan Dillenberg entgingen dem Holocaust durch die Flucht ins Exil. Käthe (* 1896), die jüngste Tochter Josefs, arbeitete nach der Schule bis 1921 in Frankfurt und lebte danach wohl im Elternhaus. Im Sommer 1937 zog sie für kurze Zeit zu ihrer Schwester Sophie nach Castrop-Rauxel und heiratete vermutlich in dieser Zeit ein Mitglied der Familie Kupfer (möglicherweise Michael Kupfer, den Mann ihrer verstorbenen Schwester Emmy). Von dort floh sie im Herbst 1937 (sicher mit ihrem Mann) ins Exil nach Montevideo, Uruguay, wo sie in zweiter Ehe als Goldstein verheiratet war und sich nach dem Krieg die Klärung des Schicksals der zahlreichen ermordeten Familienmitglieder bemühte.
Ihr Bruder Albert Dillenberg (* 1898), der jüngste Sohn von Joseph, konnte ebenfalls dem Holocaust entfliehen. Er besuchte nach der Höheren Mädchenschule ab 1908 das KWG. 1914 erwarb er die Mittlere Reife, bevor er 1916 wie seine Brüder zum Kriegsdienst einberufen wurde. Da er zu dieser Zeit bereits in die Oberprima versetzt war, konnte er im Februar 1918 nach Genehmigung durch das Provinzialschulkollegium in Münster die Kriegsreifeprüfung ablegen.
Nach dem Krieg studierte er Jura, offenbar in Frankfurt. Es ist aber unbekannt, ob er dort seine juristische Ausbildung abschloss. Jedenfalls wird er in den 1920er Jahren als Referendar geführt. 1922 kehrte er kurz nach Höxter zurück und hielt sich dann sechs Jahre in Halle/Westf. auf, vielleicht um als Referendar seine juristische Ausbildung zu vervollständigen. In diesem Zusammenhang dürfte auch der folgende kürzere Aufenthalt in Frankfurt stehen. 1928 zog er nach Berlin und kehrte 1933 oder 1934 nach Höxter zurück, wo er in der Meldekartei als Viehhändler genannt wird. Zudem scheint er hier aber auch juristisch tätig gewesen zu sein, galt aber unter den Höxteraner eher als „Winkeladvokat“. Vielleicht erklärt sich diese Bezeichnung aber auch aus dem Verbot der rechtsanwaltschaftlichen Tätigkeit für die Juden im Dritten Reich.
Albert Dillenberg entkam den Verfolgungen und wanderte im Jan. 1936 nach Südamerika aus. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt.
Von allen Angehörigen der einstmals zahlreichen Höxteraner Familie Dillenberg überlebten nur drei den Holocaust, die rechtzeitig nach Südamerika geflüchteten Albert und Käthe (vermutlich mit ihrem Mann) und Hertha Dillenberg, geb. Weinberg, Frau von Julius, Überlebende der Deportationsjahre im KZ Theresienstadt. Alle übrigen Mitglieder der Familie aber wurden – ebenso wie alle Dillenbergs aus Ovenhausen und Fürstenau – in den KZs des Dritten Reiches ermordet.
Die Familie Dillenberg in Fürstenau
Nur für rund 20 Jahre gab es auch in Fürstenau eine Familie Dillenberg, als Meyer Dillenbergs Sohn Hermann (* 1884) mit seiner 1914 geheirateten Frau Rosa Löwenstein (* 1882) und den beiden in Ovenhausen geborenen Söhnen Ernst und Albert nach Fürstenau zog, wo Rosas Bruder David Löwenstein als wohlhabender Viehhändler ansässig waren. Hermann Dillenberg trat jedoch nicht in den Handel seines Schwagers ein, sondern gründete einen eigenen Viehhandel hauptsächlich mit Schafen, Ziegen und Kälbern.
Nach Aussagen von Zeitzeugen lebten die Dillenbergs in bescheidenen Verhältnissen, denn der Handel war klein und die Familie besaß außer einem kleinen Garten keine Grundstücke, so dass sie den Lebensunterhalt überwiegend als Viehtreiber bei den größeren Viehhändlern Bachmann und Löwenstein verdiente.
Nach 1933 wurden Hermann Dillenberg die Geschäfte zunehmend erschwert, und im September 1938 wurde ihm wegen eines (angeblichen?) Verstoßes gegen die Gewerbeordnung der Viehhandel untersagt. In der Pogromnacht wurde er verhaftet und für knapp drei Wochen in das KZ Buchenwald verbracht. Unter welchen Bedingungen Hermann und Rosa Dillenberg die folgenden drei Jahre in Fürstenau lebten, ahnt man, wenn man etwa den Brief Rosas für ihren kriegsversehrten(!) Mann sieht, mit dem sie ihn entschuldigt, weil er nicht zu einem Termin beim Amt kommen kann, oder wenn man aus den Akten erfährt, dass Rosa im Oktober 1941 eine Strafe von 10 M zahlen muss, weil sie sich „in der Öffentlichkeit, und zwar auf dem Weg zum Garten ohne einen Judenstern gezeigt“ hat, Hermann im selben Monat ebenso „auf der Straße in der Gemeinde Fürstenau“. Am 13.12.1941 wurde das Ehepaar mit vielen anderen Angehörigen in das Ghetto Riga deportiert, wo sich ihre Spuren verlieren. Beide wurden nach dem Krieg für tot erklärt.
Auch ihr jüngerer Sohn Albert (* 1920), der als Metzger unter anderem in Erkeln gearbeitet hatte, wurde nach der Pogromnacht in Buchenwald inhaftiert, von wo er erst nach neun Wochen Mitte Januar 1939 entlassen wurde. Ihm gelang 1939 (Abmeldung 1941) die Flucht nach England, wo ihn die London Gazette 1948 als Metzger in Birmingham nennt. In den folgenden Jahren wurde er erfolgreich im Autohandel tätig und beeindruckte nach dem Krieg die Verwandten seiner Mutter mit seinen großen Autos. Er starb 2016 hochbetagt in dem Birmingham benachbarten Solihull.
Der ältere Sohn Ernst (* 1915) wurde Kaufmann. Häufige Ortswechsel deuten darauf hin, wie schwer es ihm im Dritten Reich fiel, einen Arbeitsplatz zu finden. Nachdem ihm im Oktober 1938 bereits der Pass entzogen war, wurde er wie sein Vater und sein Bruder nach der Pogromnacht nach Buchenwald verbracht und mit seinem Bruder Albert erst Mitte Januar 1939 entlassen.
Am 24.12.1940 heiratete er die in Schlangen geborene Grete Levi (* 1912) und lebte mit ihr in Siekholz (Schieder), war aber wegen seines Einsatzes zu schwerer Arbeit (z. B. in Scherfede) unter der Woche meist abwesend.
Am 16.3.1942 wurde der Sohn Berl in Steinheim geboren, und schon Anfang Juli 1942 musste die Familie nach Detmold in das „Judenhaus“ Sachsenstr. 4 ziehen, bis sie ein Vierteljahr später im Oktober 1942 für wenige Monate in das „Judenhaus“ Lützowstr. 10 in Bielefeld eingewiesen wurde. Am 2.3.1943 wurde die Familie nach Auschwitz deportiert, wo Grete Dillenberg und ihr einjähriger Sohn Berl offenbar gleich vergast wurden. Ernst Dillenberg wurde in Monowitz zur Arbeit eingesetzt und aus dem dortigen Lazarett am 23.1.1944 nach Birkenau überstellt. Er wurde zum 31.12.1943 amtlich für tot erklärt.
Fritz Ostkämper, 8.4.2019
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