Jüdische Bürger in Höxter

Die Höxteraner Familie Frankenberg um 1898; v.l.n.r.: Gretchen Frankenberg, Lina Rosenberg, Siegmund Rosenberg, Olga Frankenberg, Louis Frankenberg, Elise (Ella) Frankenberg, Eugenie Frankenberg; es fehlen die Söhne Emil und Richard.
Die Höxteraner Familie Frankenberg um 1898; v.l.n.r.: Gretchen Frankenberg, Lina Rosenberg, Siegmund Rosenberg, Olga Frankenberg, Louis Frankenberg, Elise (Ella) Frankenberg, Eugenie Frankenberg; es fehlen die Söhne Emil und Richard.

Kleine Geschichte der Familie Frankenberg

Die Familie Frankenberg zählt zu den in der Umgebung von Höxter und darüber hinaus am weitesten verbreiteten jüdischen Familien, so dass die Genealogie der Familie mit Verzweigungen, Kindern und Kindeskindern über 800 Namen umfasst, die zusammen mit mehreren heute in den USA und Brasilien lebenden Nachkommen zusammengestellt werden konnte. Vor allem die Dokumente von Louis („Lode“) Frankenberg (São Paulo) und seine Nachforschungen brachten viele Ergänzungen.

Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die später in Höxter ansässige Familie Frankenberg und ihre Vorgeschichte. Auf Einzeldarstellungen wird verwiesen.

Der Ahnherr Salomon Samuel aus Bayern

Mehr als 180 Jahre lang lebte die Familie Frankenberg im Raum Höxter. Davon zeugen noch heute Grabsteine auf den jüdischen Friedhöfen der Umgebung, so etwa in Löwendorf, Vörden, Höxter, Nieheim und Steinheim. Der wohl um 1735 geborene Urahn Salomon Samuel zog 1760 von Frankenberg in Bayern (wahrscheinlich Brennberg-Frankenberg) nach Löwendorf. Die Ansiedlung im Hochstift Paderborn lag nahe, denn seine Frau (Name unbekannt) stammte „aus guter Familie aus Paderborn“.

In Löwendorf nahmen die beiden noch in Bayern geborenen älteren Söhne Nathan (1757-1827) und Wolf Salomon (* 1758) ebenso wie der in Löwendorf geborene Bendix (* 1769) bei der Emanzipation der Juden im Königreich Westphalen 1808 bürgerliche Familiennamen an und nannten sich nach ihrem neuen Wohnort Löwendorf.

Nathan und Bendix Löwendorf waren offenbar unverheiratet, hinterließen jedenfalls keine Nachkommen. Wolf Löwendorf dagegen hatte mit seiner Frau Pess Josua (* 1759) zwei Söhne. Nachkommen lebten noch nach 1940 in der Umgebung von Löwendorf , bis die letzten in die Vernichtungslager des Dritten Reiches deportiert wurden. Andere waren vorher verzogen, so z.B. der 1859 in Vörden geborene Dietrich Löwendorf, der bis zur Arisierung in Mattierzoll (bei Braunschweig) eine Großhandlung für Getreide, Futter- und Düngemittel besaß. Sein Sohn Walter konnte mit seiner Familie 1939 noch rechtzeitig emigrieren; Dietrich Löwendorf wurde 1943 nach Theresienstadt deportiert, wo er nur sechs Wochen später umkam.

Der Familie Löwendorf ist ein eigener Artikel gewidmet.

Salomon Frankenberg, Stammvater der Familie Frankenberg

Salomon (1760-1825), dritter Sohn des Urahns Salomon Samuel, nahm 1808 nach seinem Geburtsort den bürgerlichen Namen Frankenberg an und wurde zum Stammvater der Familie, die in den folgenden eineinhalb Jahrhunderten in zahlreichen Städten und Ortschaften der Umgebung ihre Spuren hinterließ, so z.B. in Vörden, Nieheim, Bellersen, Pömbsen, Ovenhausen, Groß-Berkel, Höxter bis hin nach Harsewinkel, Hameln, Hannover und nach Alkmaar/Niederlande, wo sie friedlich lebten, bis die meisten lebenden Nachkommen im Dritten Reich in die Vernichtungslager deportiert und dort ermordet wuden. Nur einige konnten sich durch die Flucht retten. Nachkommen leben heute unter anderem in den USA, in Brasilien, in der Schweiz, in den Niederlanden.

Salomon Frankenberg, 1760 in Bayern geboren und 1825 in Löwendorf verstorben, war mit Gella Samuel (1769-1837) aus Peckelsheim verheiratet und hatte mit ihr sieben Kinder. Wolf, der älteste Sohn (1794-1858), heiratete ebenso wie die einzige Tochter Sara (1796-1852) nach Nieheim. Nachkommen findet man später unter anderem in Ovenhausen und Pömbsen. Jacob (1801-1848), der dritte Sohn, heiratete nach Vörden, wo seine Kinder und Kindeskinder bis ins Dritte Reich lebten. 1938 aus Deutschland geflohene Nachkommen leben heute in den USA (siehe: „Familie baut Brücke der Versöhnung“). Moses (1807-1857), der fünfte Sohn, war in Groß-Berkel wohlhabend verheiratet und betrieb dort außer dem Handel mit Lumpen auch ein Papiergeschäft mit Zweiggeschäft in Hameln und eine Landwirtschaft, so dass er seine Kinder durch Hauslehrer unterrichten lassen konnte. Zwei weitere Söhne waren kinderlos.

Der Grabstein von Bendix Frankenberg auf dem jüdischen Friedhof in Löwendorf.
Der Grabstein von Bendix Frankenberg auf dem jüdischen Friedhof in Löwendorf.

Bendix Frankenberg (1804-1858) dagegen blieb zunächst in Löwendorf und zog zwischen 1835 und 1840 mit seiner aus Gehrden stammenden Frau Charlotte geb. Mosberg (1801-1873) nach Bellersen. Von ihm stammen auch die später in Höxter lebenden Angehörigen der Familie ab.

Über die soziale und berufliche Stellung der Familie Frankenberg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegen nur bruchstückhafte Informationen vor. Sie lassen jedoch erkennen, dass die Familie keine Reichtümer erwerben konnte, wenn sie auch offenbar ihr Auskommen hatte. Die Frankenbergs verdienten ihren Lebensunterhalt unter anderem als Lumpensammler. Der Beruf war nicht sehr angesehen, bot aber eine einigermaßen sichere Existenzgrundlage, denn bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren Hadern (Lumpen) der unersetzliche Rohstoff für die Herstellung von Papier.

Ein weiterer wichtiger Berufszweig war offensichtlich der Vieh- und Getreidehandel, wie etwa aus den 1925 aufgezeichneten Erinnerungen von Riekchen Ransohoff geb. Frankenberg aus dem später in Groß-Berkel lebenden Zweig der Familie hervorgeht. Diese Aufzeichnungen bieten zugleich einen Einblick in die offensichtlich problemlose Integration der Juden in die dörfliche Bevölkerung.

Aus den Erinnerungen von Riekchen Ransohoff, Tochter von Moses Frankenberg (um 1925).
Aus den Erinnerungen von Riekchen Ransohoff, Tochter von Moses Frankenberg (um 1925).

Die Höxteraner Familie Frankenberg

Der in Bellersen lebende Bendix Frankenberg hatte zwei Söhne und zwei Töchter. Während die beiden Töchter Gelle (Julie) (1838-1910) und Henriette (1841-1873) in Pömbsen und Peckelsheim verheiratetet waren, zogen die Söhne Salomon (* 1835) und Gustav (1843-1906) etwa um 1870 nach Höxter und betrieben hier jeder sein eigenes Geschäft. Salomon jedoch wanderte mit seiner ganzen elfköpfigen Familie um die Jahrhundertwende in die USA aus.

Der 1944 zerschlagene Grabstein von Gustav Frankenberg auf dem jüdischen Friedhof in Höxter wurde nach dem Krieg wieder aufgerichtet.
Der 1944 zerschlagene Grabstein von Gustav Frankenberg auf dem jüdischen Friedhof in Höxter wurde nach dem Krieg wieder aufgerichtet.

Dagegen blieb Salomons Bruder Gustav Frankenberg dauerhaft in Höxter. Er war verheiratet mit der jung verwitweten Jenny Jacobs aus Goch (1842-1915). Sie brachte aus ihrer ersten Ehe mit dem aus Amelunxen stammenden Soistmann Siegmund Rosenberg, der schon mit 32 Jahren verstorben war, die Kinder Lina (* 1866) und Siegmund (1868–1930) mit in die Ehe. Gustav Frankenberg vermittelte Wohnung, handelte als Landhändler mit z.B. Saatgetreide, Dünger und Kartoffeln und verlegte sich später wohl vor allem auf Kleidung und Manufakturwaren, bis er das Geschäft 1905 aufgab.

Das Ehepaar bekam sieben Kinder, so dass mit den beiden Kindern aus der ersten Ehe seiner Frau Jenny insgesamt neun Kinder im Haushalt aufwuchsen, fünf Mädchen und vier Söhne. Gustav Frankenberg starb 1906, seine Frau Jenny 1915. Sie wurden auf dem jüdischen Friedhof in Höxter begraben.

Lina Rosenberg 1914 (Identifikation unsicher).
Lina Rosenberg 1914 (Identifikation unsicher).

Lina Rosenberg (* 1866) verließ Höxter nur zeitweise und blieb unverheiratet. Sie lebte später mit ihren Halbschwestern Eugenie, Olga und Margarete in der Stummrigestr. 49, bis die Schwestern zum Mai 1942 in das zum Judenhaus erklärte der Synagoge an der Nagelschmiedstraße umziehen mussten. Lina wurde am 31.7.1942 nach Theresienstadt und acht Wochen später zur Ermordung weiter nach Treblinka deportiert.

Siegmund Rosenberg (wahrscheinlich) 1914.
Siegmund Rosenberg (wahrscheinlich) 1914.

Siegmund Rosenberg (1868-1930) besuchte nach der Vorschule von 1878 bis 1882 das Gymnasium und ging ab, um Kaufmann zu werden. In den folgenden Jahrzehnten betrieb er in der Corveyer Allee 2 eine Baumaterial- und Kohlenhandlung. Er bekleidete jahrelang das Amt des Vorsitzenden der AOK für Stadt und Amt Höxter. Als Soldat des 1. Weltkrieges war er Mitglied im Kriegerverein der ›ehemaligen 55er‹. Er starb bereits 1930 in Höxter.
Er war verheiratet mit Kathi Leopold aus Barchfeld (* 1880), mit der er die Tochter Anny hatte. Während seine Frau Kathi im Juli 1942 zusammen mit zwei Schwägerinnen im Juli 1942 nach Auschwitz deportiert wurde, wurde ihre 91-jährigen Mutter Pauline Leopold, geb. Ganzmann (* 1851 in Burgpreppach) drei Wochen später mit zwei weiteren Schwägerinnen nach Theresienstadt) deportiert, wo Pauline Leopold nach acht Wochen umkam.
Die Tochter Anny (1902 – ca. 1989) war mit dem in Herten geborenen Rudolf Baruch (1897 – ca.1986) verheiratet, der im Geschäft seines Schwiegervaters zunächst als Prokurist arbeitete und es dann übernahm. 1937 konnte sich das Ehepaar Baruch mit der Tochter Ursula (* 1924) nach Palästina ins Exil retten.

Eugenie Hochheimer geb. Frankenberg 1914.
Eugenie Hochheimer geb. Frankenberg 1914.

Eugenie Frankenberg (* 1870) heiratete 1897 den aus Steinheim stammenden Kaufmann Louis Hochheimer (1868-1933). Das Ehepaar lebte in Steinheim und dann in Hameln und hatte fünf Kinder (Ernst, Otto, Fritz, Walter, Kurt). Einige Jahre nach dem Tod ihres Mannes kehrte Eugenie Eugenie zurück nach Höxter, während die Söhne in den folgenden Jahren in die USA oder nach Palästina emigrieren konnten, wo sie z.T. andere Namen annahmen. Ihre Nachkommen leben heute noch dort.
Eugenie wohnte in Höxter mit der verwitweten Schwester Olga Mühlfelder und den ledigen Margarete Frankenberg und Lina Rosenberg in der Stummrigestr. 49 und musste 1942 mit ihnen in das Gebäude der Synagoge („Judenhaus“) in der Nagelschmiedstraße 8 ziehen. 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert und von dort acht Wochen später nach Treblinka verschleppt, wo sie ermordet wurde.

Das Grab von Ella Philippsberg geb. Rosenberg um 1920 in seinem ursprünglichen Zustand.
Das Grab von Ella Philippsberg geb. Rosenberg um 1920 in seinem ursprünglichen Zustand.

Elise gen. Ella Frankenberg (1871-1904), über die nur wenig bekannt ist, heiratete Anfang 1904 den Kaufmann Isidor Philippsberg (* 1862). Sie starb nicht einmal ein halbes Jahr später in Höxter und wurde hier auf dem jüdischen Friedhof begraben.

Emil Frankenberg 1920.
Emil Frankenberg 1920.

Emil Frankenberg (1874-1940) besuchte nach der jüdischen Schule von 1883-1888 das KWG, musste aber wegen zweimaliger Nichtversetzung abgehen und machte offenbar eine kaufmännische Ausbildung, denn ab 1911 wird er als Kaufmann und Handelsvertreter mit offenbar wechselnden Anstellungen in Hamburg genannt. Auch nach dem Tod der Eltern kam er regelmäßig nach Höxter zurück, um seine Geschwister zu besuchen. In seinen letzten Lebensjahren war er an Demenz erkrankt und wohnte in Hamburg im dortigen Marcus-Nordheim-Stift, bis er 1940 unverheiratet in Hamburg starb.

Louis Frankenberg um 1930.
Louis Frankenberg um 1930.

Louis Frankenberg (1876-1936) besuchte nach der jüdischen Schule Höxter für drei Jahre (1885-1888) das KWG und ging dann vermutlich auf eine andere Schule. Er blieb zunächst noch in Höxter, zumindest bis 1892. Um die Jahrhundertwende wanderte er nach Holland aus, wo er in Alkmaar die größte Buchhandlung Nordhollands betrieb. Er war verheiratet mit Caecilia (Cilla) Wolff (* 1875) aus Elberfeld. In den 20er Jahren organisierte er zusammen mit Bruder Richard die Verschickung notleidender Höxteraner Kinder nach Holland, wofür die Stadt Höxter den Brüdern mehrfach offiziell ihren Dank aussprach. Louis Frankenberg starb 1936 in Alkmaar. Seine Frau Cilla wurde in Sobibor ermordet.
Louis hatte zwei Kinder. Die Tochter Else (1909-1944) wurde zusammen mit ihrem Mann Franz Grünewald und den Kindern Leonhard und Jetty in Auschwitz ermordet. Der Sohn Hans (1904-1943) wurde mit seiner Frau Gertrude Goldschmidt in Sobibor ermordet. Nur deren Kinder, die versteckte Tochter Eva (* 1933) und der 7-jährig in seinem Versteck entdeckte, nach Theresienstadt deportierte und durch ein glückliches Schicksal in die Schweiz gerettete Louis („Lode“) (* 1936) (siehe: „Auf der Suche nach den Wurzeln seiner Familie – Louis Frankenberg in Höxter“) überlebten. Sie wohnen heute mit Kindern und Enkeln in der Nyon, Schweiz bzw. in São Paulo, Brasilien.

Olga Mühlfelder, geb. Frankenberg 1914 (Identifikation unsicher).
Olga Mühlfelder, geb. Frankenberg 1914 (Identifikation unsicher).

Olga Frankenberg (* 1877) heiratete Karl Mühlfelder (* 1873 in Gleicherwiesen), der wohl relativ früh starb. Die Ehe blieb kinderlos, und Olga arbeitete den ganzen Ersten Weltkrieg über in verschiedenen Kriegs- und Reservelazaretten und danach in verschiedenen Orten. 1938 kehrte sie nach Höxter zurück und lebte hier zusammen mit ihren Schwestern Eugenie, Margarete und Lina in der Stummrigestr. 49, bis sie dann 1942 mit ihnen und anderen Juden in das Haus der Synagoge in der Nagelschmiedstraße 8 ziehen musste. Von dort wurde sie im Juli 1942 zusammen mit ihrer Schwester Margarete und der Schwägerin Kathi Rosenberg nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Margarete Frankenberg 1914 (Identifikation unsicher).
Margarete Frankenberg 1914 (Identifikation unsicher).

Margarete („Gretchen“) Frankenberg (* 1879) blieb unverheiratet. Über ihr Leben ist nichts Weiteres bekannt. Sie wohnte spätestens in den 1920er Jahren in der Stummrigestr. 49 in Höxter. 1942 musste sie zusammen mit ihren Schwestern Eugenie und Olga und anderen Juden in das Haus der Synagoge in der Nagelschmiedstraße 8 ziehen. Von dort wurde sie im Juli 1942 zusammen mit der Schwester Olga nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Dr. Richard Frankenberg 1920.
Dr. Richard Frankenberg 1920.

Dr. Richard Frankenberg (1883–1944) war der jüngste Sohn der Familie. Nach seinem Studium arbeitete er als überaus angesehener und beliebter Arzt in Höxter. Die Ehe mit seiner aus Herstelle stammenden Frau Anna („Aenne“) geb. Wichelhausen (1890–1944) aus Herstelle blieb kinderlos. Er wurde 1941 mit seiner Frau nach Riga deportiert und dort mit ihr 1944 ermordet. (Seine Biographie siehe: „Dr. Richard Frankenberg – ein jüdischer Bürger Höxters“)

Fritz Ostkämper, 1994–2019
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de