Familie Kaufmann – Schuhe und Herrenkonfektion
Gut 35 Jahre lang gab es in Höxter das von der Familie Kaufmann betriebene Schuhgeschäft Blankenberg & Cie, das in seinen Räumen an der Marktstraße 27 daneben auch Herrenkonfektion anbot. Seinen Namen erhielt das Geschäft von den in Eberschütz ansässigen Eltern der Inhaberin Berta Kaufmann, geb. Blankenberg, die vermutlich für die finanzielle Grundlage gesorgt hatten.
Berta Blankenberg (1865–1942) war seit etwa 1895 mit dem in Bettendorf bei Alsdorf geborenen Moses Kaufmann (1862– 1927) verheiratet und hatte mit ihm zunächst vermutlich in Alsdorf gelebt, wo der Sohn Hermann (1897-1981) geboren wurde. Der zweite Sohn Fritz wurde 1902 in Höxter geboren, starb aber schon 1905 als gerade Dreijähriger.
1902 zogen Moses und Berta Kaufmann mit ihrem Sohn nach Höxter und betrieben hier in dem noch vor dem Ersten Weltkrieg neu errichteten Wohn- und Geschäftshaus in den folgenden Jahren gemeinsam das Schuhgeschäft, an das sich alte Höxteranern noch erinnern. Auch Moses’ 70-jährige Mutter Henriette Kaufmann, geb. Randerath (1832–1910) zog mit nach Höxter und wurde nach ihrem Tod hier auf dem jüdischen Friedhof begraben.
Der Sohn Hermann besuchte zunächst die evangelische Bürgerschule in Höxter und wechselte dann 1906 zum Gymnasium, von dem er jedoch 1912 nach zweimaliger Nichtversetzung abgehen musste und zu einer anderen Schule wechselte.
Im Ersten Weltkrieg wurde er als Soldat eingezogen und dort mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Nach seiner Rückkehr trat er zunächst als Handlungsgehilfe und dann als Kaufmann in das elterliche Geschäft ein. Daneben war er als Sportler aktiv und übernahm im SV die Rolle des Mittelstürmers.
Als sein Vater Moses 1927 starb, trat der Sohn als persönlich haftender Gesellschafter in das Geschäft ein und führte es bis ins Dritte Reich fort. 1930 heiratete er die in Bad Schwalbach geborene Lilly Wolf (1905–2003) und bekam mit ihr die Tochter Inge Liane (*1931).
Das Dritte Reich zerstörte jedoch bald die Lebensperspektiven der Familie. In der Pogromnacht des 9./10. November 1938 stürmte ein SA-Trupp das Geschäft, zerschlug das Glas der Haustür, die Vitrinen und die großen Schaufensterscheiben. Hermann Kaufmann wurde zum Rathaus getrieben und für drei Wochen in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht.
Als er am 29. November entlassen wurde, war das Geschäft bereits „entjudet“ und in die Hände eines ehemaligen Angestellten übergegangen. Die Familie Kaufmann behielt weiterhin Wohnrecht im Haus, musste aber beim Verkauf des Hauses 1939 in das oberste Geschoss umziehen.
Schon vorher hatte sich Hermann Kaufmann darum bemüht, eine Auswanderungsmöglichkeit für seine Familie zu finden, und im August 1939 gelang ihm selbst die Ausreise nach England, während seine Frau Lilly mit der Tochter Inge und Hermanns Mutter Berta noch in Höxter bleiben musste.
Bereits im Juni 1939 hatten die Eltern ihre siebenjährige Tochter Inge nach dem Ausschluss der jüdischen Kinder aus den öffentlichen Schulen auf die Israelitische Gartenbauschule in Hannover-Ahlem geschickt, und im November desselben Jahres gab die Mutter sie nach Frankfurt, wohin ihre Eltern inzwischen umgezogen waren.
Im September 1940 gelang es Hermann Kaufmann, die Genehmigung zur Einreise in die USA zu bekommen, wo er nach Hartford, Connecticut zog, denn dorthin waren auch Lillys Schwester Gerta mit ihrem Mann Arthur Oppenheimer und den Kindern Gerd und Ruth aus Deutschland emigriert.
Im Juli 1941 erlangten die zurückgebliebenen Lilly und Inge Kaufmann endlich ebenfalls die notwendige Erlaubnis zur Ausreise aus Deutschland und das Affidavit zur Einreise in die USA. Mitten im Krieg machten sie sich auf die ungewisse Reise. Nach einem Aufenthalt in Paris konnten sie in Cardiz (Spanien) einen kaum seetüchtigen Frachter besteigen, der sie nach mehrwöchiger Fahrt nach Amerika brachte, so dass sich die Familie schließlich nach zwei Jahren wieder in Hartford in die Arme schließen konnte.
Hermann und Lilly Kaufmann betrieben in den folgenden Jahrzehnten in Hartford einen „5-and-10-cent store“, also ein Geschäft mit Billigartikeln. Die Tochter Inge heiratete den ebenfalls aus Deutschland stammenden Richard Merker und hat mit ihm vier Kinder.
In den 1960er Jahren gaben Hermann und Lilly Kaufmann ihr Geschäft auch aus gesundheitlichen Gründen auf und hielten sich in den folgenden Jahren vor allem im Winter regelmäßig in ihrem in Dade, Miami, Florida erworbenen Haus auf, wo das wärmere Wetter für den an Herzattacken leidenden Hermann und die asthmakranke Lilly in dieser Jahreszeit wohltuender war und wo Hermann verschiedenen jüdischen Organisationen angehörte. Er starb 1981 mit 84 Jahren in Dade.
Lilly Kaufmann kam nach dem Krieg mehrmals zu Besuchen nach Höxter, auch um sich bei den Höxteranern zu bedanken, die die Familie in den Jahren der Verfolgung nicht im Stich gelassen hatten und ihnen, die sich selbst nicht mehr zum Einkauf auf die Straße trauten, nachts verkleidet und auf dem Weg durch die Gärten Lebensmittel gebracht hatten und die auch Hermanns zurückkgebliebene Mutter Berta Kaufmann unterstützten. Lilly Kaufmann starb 2003 in Tolland, Connecticut.
Zu Berta Kaufmann war Ende 1938 auch ihre verwitweten Schwester Karoline Goldschmidt aus Hannover nach Höxter zugezogen, wo sich der Verkauf des Hauses bis 1941 hinzog, weil verschiedene Interessenten darum konkurrierten.
Im März 1940 zog zusätzlich das in Vorbereitung der deutschen Invasion in Holland aus Norden vertriebene Ehepaar Samuel und Goldine Wolff mit in die Wohnung Kaufmann im Obergeschoss ein, und ab Mai 1942 wurde auch noch Paul Netheim mit seiner Frau Sofie und deren unverheirateter Schwester Rosa Schönfeld in der „Judenwohnung“ einquartiert.
Zusammen mit ihnen und den anderen noch in Höxter verblieben Juden wurde Berta Kaufmann am 31. Juli 1942 77-jährig nach Theresienstadt deportiert und kam dort nach wenigen Monaten am 30. Nov. 1942 um, während ihre Schwester Karoline ebenso wie zwei weitere Geschwister von dort zur Ermordung nach Treblinka verbracht wurden. Ein anderer Bruder wurde nach Riga deportiert, und nur eine Schwester entging der Ermordung durch die Flucht ins Exil.
Fritz Ostkämper, 8.4.2021
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