Jüdische Bürger in Höxter

Zwei Familien Emanuel in Höxter

Jüdische Familien mit dem Namen Emanuel sind in der zweiten Hälfte des 19. bis ins 20. Jahrhundert gleich zweimal in Höxter verzeichnet, jedoch gibt es bisher keine sicheren Hinweise, ob oder in welcher Weise diese Familien vielleicht miteinander verwandt waren.

Marcus Emanuel und seine Familie

Anfang der 1860er Jahre zog der aus Detmold stammende Marcus Emanuel (1839-1900) nach seinem Examen am dortigen Lehrerseminar nach Holzminden, um an der jüdischen Schule sowie spätestens ab 1864 auch an der dortigen Baugewerkschule zu unterrichten. Er integrierte sich gleich in der Stadt und und wurde Mitglied des Gesangvereins „Liedertafel“. 1863 heiratete er die aus Bodenfelde stammende Bertha Herzstein (1843-1924) und hatte mit ihr neun Kinder, von denen drei jedoch schon wenige Wochen oder Monate nach der Geburt starben. Über die Tochter Frieda gen. Johanna (*1868) ist nur bekannt, dass sie sich 1909 kurzzeitig in Holzminden anmeldete.

Marcus Emanuel als Rechnungsprüfer im Schützenverein Höxter (2.3.1895)
Marcus Emanuel als Rechnungsprüfer im Schützenverein Höxter (2.3.1895)

Schon bald verlegte Markus Emanuel seinen Lebensschwerpunt nach Höxter, wo er von 1867 bis zu seinem Tod 1900 als Lehrer an der Baugewerkschule unterrichtete und von 1871 bis 1882 zusammen mit dem Kaufmann Meier Weißenstein die ehemalige Nähmaschinenfabrik W. Siess betrieb. Wie zuvor in Holzminden integrierte sich hier gleichfalls in das gesellschaftliche Leben. So war er unter den Mitbegründern des Schützenvereins von 1883, gehörte dem Vorstand an und war zeitweise auch dessen Vorsitzender.

1886 ließ er für seine wachsende Familie an der Lütmarser Straße 8 ein (heute noch stehendes) Haus errichten. Er starb 1900 und wurde auf dem jüdischen Friedhof begraben. Seine Frau Bertha zog danach zur Tochter Helene nach Holzminden, wo sie 1924 starb.

Nur diese älteste Tochter Helene (* 1864) wurde noch in Holzminden geboren, die weiteren acht Kinder kamen dagegen in Höxter zur Welt. Drei der Kinder starben mit wenigen Monaten, die übrigen zogen aus Höxter fort. Helene war mit dem Holzmindener Baugewerkschullehrer Siegmund Strauss (* 1871 in Barmen-Elberfeld) verheiratet. 1934 verzog das Ehepaar nach Bad Ems und wurde am 18.8.1942 von Frankfurt nach Theresienstadt deportiert, wo Siegmund Strauss schon nach wenigen Tagen am 23.8.1942 umkam, während seine Frau am 26.9.1942 zur Ermordung nach Treblinka weiterverschleppt wurde.

Das „Müngersdorfer Judenlager“ in Köln
Das „Müngersdorfer Judenlager“ in Köln

Dasselbe Schicksal hatte auch ihre in Höxter geborene Schwester Henny (* 1871), die in Köln mit dem aus Rhede stammenden David Cleffmann (* 1876) verheiratet war. Zusammen mit bis zu 2.500 anderen Juden wurde das Paar vor der Deportation im sog. „Müngersdorfer Judenlager“ im und an dem ehemals als Festungsanlage gebauten Fort V zusammengepfercht und dann am 15.6.1942 nach Theresienstadt deportiert, von wo sie am 19.9.1942 zur Vernichtung nach Treblinka verschleppt wurden.

Albert Emanuel 1888 in der Untersekunda
Albert Emanuel 1888 in der Untersekunda

Über die Ausbildung der Töchter ist nichts bekannt. Bei den Söhnen achteten die Eltern jedenfalls darauf, dass sie eine gymnasiale Ausbildung erhielten. So besuchte der älteste Sohn Nathan gen. Albert (1873–1936) nach der jüdischen Schule in Höxter ab 1882 das KWG. 1889 ging er mit dem Zeugnis der einjährig-freiwilligen Reife ab, um Kaufmann in Köln zu werden.

Später verzog er nach Stolberg und erwarb dort 1903 ein Wohn- und Geschäftshaus im Steinweg 65. Er heiratete Rosa Herz, eine Halbschwester des bisherigen Mitinhabers Hermann Leyens, mit dem er das Geschäft für Konfektions-, Kurz-, Weiß- und Wollwaren unter dem Namen Leyens & Levenbach bis zu seinem Tod 1936 weiterführte. Haus und Geschäft wurden verkauft. 1940 starb auch seine Frau Rosa und wurde ebenso wie ihr Mann auf dem jüdischen Friedhof an der Straße „Turmblick“ begraben. Die vermutliche Tochter Henriette Emanuel floh 1937 nach Palästina ins Exil.

Emil Emanuel 1891 in der Quarta, 1894 in der Untersekunda und 1899 beim Abitur
Emil Emanuel 1891 in der Quarta, 1894 in der Untersekunda und 1899 beim Abitur

Alberts Bruder Emil Emanuel (* 1879– 1914) besuchte nach der jüdischen Schule ebenfalls das KWG (1889-1899). Er ging mit dem Abitur ab und studierte dann das „Baufach“ (in Holzminden?), wie es in den Unterlagen heißt, wurde also Bauingenieur und Architekt. Danach arbeitete er in Königsberg und Bochum und wurde 1909 zum Regierungsbaumeister ernannt.

Offenbar hatte er während seines Studiums seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger absolviert, und so wurde er gleich in den ersten Tagen des Ersten Weltkriegs am 4.8.1914 von Bochum aus als Offizierstellvertreter eingezogen. Er fiel schon am 10.11.1914 in der Langemark-Schlacht bei Poelkapelle. Sein Name war auf der Gedenktafel des KWG für die Gefallenen verzeichnet und findet sich noch heute auf dem Ehrenmal in Holzminden sowie auf einer Tafel auf dem dortigen jüdischen Friedhof.

Auch Willy/Willi Emanuel, der jüngste Sohn der Familie (* 1888) besuchte nach der jüdischen Schule ab 1896 das KWG, wechselte jedoch nach dem Tod des Vaters und dem Umzug der Mutter Bertha nach Holzminden mit der Versetzung nach Untertertia zur Jacobsohnschule in Seesen, die er Ostern 1905 wohl mit der einjährig freiwilligen Reife verließ. Bei seinem Abgang gab seine Mutter eine Spende für bedürftige Schüler der Schule.

Aus dem Jahresbericht der Jacobsohn-Schule von 1906
Aus dem Jahresbericht der Jacobsohn-Schule von 1906

Später lebte er in Köln (vermutlich als Kaufmann), wo er mit der aus Hirschberg stammenden Rebekka Hirsch (1890–1942) verheiratet war. Belegt ist auch ein zumindest vorübergehender Aufenthalt in Siegburg. Ob aus der Ehe Kinder hervorgingen, ist nicht bekannt, und auch über die Jahre bis in den Krieg hinein liegen bisher keine Informationen vor.

Nach dem Luftangriff auf Köln am 31.5.1942 wurde das Ehepaar mit zahlreichen anderen Kölner Juden zur Freimachung von Wohnraum und in Vorbereitung der Deportation nur mit Handgepäck in das Reichsarbeitsdienstlager Niederbardenberg bei Aachen ›umgesiedelt‹, wo sie in den folgenden Wochen eingesperrt blieben, bis sie am 19.7.1942 zunächst in die Messehallen in Köln-Deutz gebracht und dann am folgenden Tag nach Minsk abtranportiert wurden. Bei einem Halt in Wolkowysk wurden die Menschen aus Personenwagen in Güterwagen gepfercht, bis sie nach einem weiteren Halt in Baranowitsche um 5.45 Uhr am 24.7.1942 in Minsk ankamen, wo sie gleich nach der Ankunft ermordet wurden.

Die Familie Otto Emanuel

Noch eine zweite Familie Emanuel lebte zu Beginn des 20. Jahrhunderts für wenige Jahre in Höxter. Eine Verwandtschaft zur ersten Familie Emanuel liegt nahe, jedoch gibt es außer dem Namen bisher keine gesicherten Hinweise.

In den 1890er Jahre zog der 1865 in Köln geborene Kaufmann Otto Emanuel mit seiner ebenfalls in Köln geborenen Frau Johanna Michaelis (* 1868) nach Höxter, wo seine Frau Verwandtschaft hatte und wo auch die erste und vielleicht verwandte Familie Emanuel lebte. Jedoch hielt sich anscheinend nur Otto Emanuels Frau Johanna für längere Zeit in Höxter auf, und hier wurde der zweite Sohn Arthur Fritz (1898–1899) geboren, der aber mit nicht einmal einem halben Jahr starb und hier auf dem jüdischen Friedhof begraben wurde. Über die ebenfalls in Höxter geborene Tochter Friederike (* 1900) ist bisher nichts Weiteres bekannt.

Der älteste Sohn Walter (1896–1990) wurde dagegen in Johannesburg in Südafrika geboren, denn Otto Emanuel war längere Zeit als Handelsagetn im internationalen Großhandel tätig, und seine Geschäftsreisen führten ihn vor allem nach Südafrika, zum Teil auch mit seiner Frau Johanna, deren Verwandte sich mit ihrem Handelsgeschäft in Johannesburg niedergelassen hatten und vor allem im Handel mit England und wohl auch mit Holland tätig waren. Und bei einem dieser Aufenthalte wurde 1896 in Johannesburg der Sohn Walter geboren.

Weitere Lebensstationen der Familie lassen sich nur grob skizzieren. Die Familie lebte vor allem in Köln, aber auch ein zeitweiser Aufenthalt zumindest der Frau Johanna in Höxter ist belegt. Anfang des 20. Jahrhunderts hielt sich die Familie offenbar auch für eine Zeit in London auf, denn dort besuchte der in Südafrika geborener Sohn Walter eine Privatschule, von der er 1906 auf das KWG in Höxter wechselte. Schon 1908 ging er ab, weil die Familie (wieder) nach Köln umzog.

Notiz über den Kriegsteilnehmer Walter Emanuel in den Akten des KWG
Notiz über den Kriegsteilnehmer Walter Emanuel in den Akten des KWG

Dort erwarb Walter das Zeugnis der einjährig-freiwilligen Reife oder legte sogar das Abitur ab, denn im Ersten Weltkrieg war er als Offiziersstellvertreter an der Front, was nur Soldaten mit einem solchen Reifezeugnis vorbehalten war. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.

Für lange Jahre gibt es bisher über die Eltern Otto und Johanna Emanuel kaum Informationen. Gesichert ist aber, dass Otto Emanuel 1930 als Vertreter in Köln in der Aduchtstraße 4 gemeldet war. Im Dritten Reich versuchte das Ehepaar den Verfolgungen durch die Flucht nach Holland zu entgehen, wo die beiden in Amsterdam in der Euterpestraße 14-16 wohnten. Sie wurden jedoch von dort am 13.11.1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet und nach dem Krieg für tot erklärt.

Heiratseintrag für Walter Emanuel und Rachella Cohen (1923) und Einbürgerung (1935/36)
Heiratseintrag für Walter Emanuel und Rachella Cohen (1923) und Einbürgerung (1935/36)

Der Sohn Walter (1896–1990) ging bereits 1920 nach Holland, wo er zum Direktor einer Aktiengesellschaft (Namenlooze Venootschap) aufstieg, wie er dort 1923 bei seiner Heirat mit der in Nijmegen geborenen Kaufmannstochter und Sprachenlehrerin (taalerares) Rachella Cohen (* 1897) bezeichnet wird. 1935 oder 1936 wurde er in Amsterdam als „handelsagent“ eingebürgert. Anders als seine Eltern überlebte im Untergrund in Holland. Seine Memoiren sind leider bisher nicht publiziert, jedoch sind die Fakten in den Grundzügen bekannt.

Als im Herbst 1941 die jüdischen Schüler des Montessori Lyceum Amsterdam, das auch seine Tochter Mirjam (* 1927) und sein Sohn Han (* 1924) besuchten, von der Schule verwiesen wurden, ergriff Walter Emanuel die Initiative, ein Joods Montessori Lyceum aufzubauen, an dem die jüdischen Kinder ihre Schulausbildung fortsetzen konnten. Er mietete ein Haus und übernahm die Verwaltung und Organisation der Schule, bis sie Anfang 1943 geschlossen werden musste, weil die jüdischen Schülern nach und nach mit ihren Eltern deportiert wurden.

Walter Emanuel (hinten, 3. v.r.) 1942 auf einem Foto der Schüler des Joods Montessori Lyceum in Amsterdam; hinten links seine Tochter Mirjam, links auf einem Stuhl sitzend der Sohn Han
Walter Emanuel (hinten, 3. v.r.) 1942 auf einem Foto der Schüler des Joods Montessori Lyceum in Amsterdam; hinten links seine Tochter Mirjam, links auf einem Stuhl sitzend der Sohn Han

Walter Emanuel hatte bereits rechtzeitig ein Wochenendhaus angemietet, in dem er sich mit seiner Frau und dem Sohn Han versteckte, während die Tochter Mirjam in Amsterdam znächst noch auf der Schule blieb und in dieser Zeit mit sieben anderen Kindern bei einer Montessori-Lehrerin in Amersfort wohnte, bis sie nach eineinhalb Jahren zu ihren Eltern im Grünen ins Versteck kam.

Dort überlebte die Familie die Jahre der Verfolgung und zog nach dem Krieg zunächst in ein Zimmer in Amsterdam. Die Tochter Mirjam emigrierte nach bestandenem Examen nach Israel und wurde dort Künstlerin. Ihr Bruder Han blieb in den Niederlanden und lehrte später als Professor an der Universität Leiden. Die Eltern lebten weiterhin in Amsterdam. Dort starb Walter Emanuel 1990.

Fritz Ostkämper, 14.10.2019
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de