Jüdische Bürger in Höxter

Der Höxteraner Pferdehändler Frank

Widerspruch der Kaufgilde Holzminden gegen die Niederlassung Bendix Heinemanns, 28.3.1798
Widerspruch der Kaufgilde Holzminden gegen die Niederlassung Bendix Heinemanns, 28.3.1798

Die Familie Frank in Holzminden

Die Familie Frank zählt nicht zu den alteingesessenen jüdischen Familien in Höxter. Die Vorfahren lebten vielmehr im Raum Holzminden, wo der aus Hehlen kommende Bendix Heinemann (✡ 1804) mit seiner Frau Bela Joseph (1769–1838) trotz des Widerspruchs der „Kaufgilde in Holzminden“ 1798 die Erlaubnis erhielt, sich in dem damals noch selbständigen Altendorf (heute Ortsteil von Holzminden) niederzulassen und „mit allerhand Waaren im Altendorfe handeln zu dürfen“. Nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratete seine Witwe Bela 1806 einen Salomon (1782–1847), und bei der Annahme bürgerlicher Namen 1808 wählte die ganze Familie den Namen Frank.

Der aus der zweiten Ehe Belas stammende Joseph Frank (1815–1893) heiratete vermutlich spät die evangelische Luise Friedrike Beimling und legitimierte nachträglich die sechs evangelisch erzogenen Kinder. Er erscheint in den Quellen als unvermögender „Koppelknecht“ und starb schließlich in Holzminden als Stadtarmer. Sein älterer Bruder Simon Heinemann, gen. Frank, auch gen. Schimmel (1801–1861) aus der ersten Ehe der Mutter lebte mit seiner Frau Emma Friedberg (1803–1872) und den drei Kindern in Altendorf und verdiente den Lebensunterhalt der Familie als Hausierer mit Fleisch.

Verurteilung von Bendix Franks Enkel Ernst wegen „Devisenvergehen“, 1939
Verurteilung von Bendix Franks Enkel Ernst wegen „Devisenvergehen“, 1939

Jacob Heinemann, gen. Frank (1794–1864), der älteste Bruder, übernahm dagegen den Vieh- und Pferdehandel der Familie in Altendorf. Mit seiner ersten Frau Hannchen Lehmann (1794–1841), die eine uneheliche Tochter mit in die Ehe brachte, hatte er den Sohn Bendix, während aus der zweiten Ehe mit einer nicht weiter bekannten Julie (✡ 1853) keine weiteren Kinder hervorgingen. Auf den Sohn Bendix, seine Kinder und Enkel gehen die meisten der in folgenden über 100 Jahre in Altendorf und Holzminden lebenden Träger des Namens Frank zurück, die hier vor allem als Pferdehändler bekannt waren. Bendix Frank (1830–1911) hatte mit seiner aus Hemmendorf stammenden Frau Johanna Zeckendorf (1837–1883) neun Kinder, von den fünf später im Dritten Reich zu Opfern des Holocaust wurden. Nur auf das Schicksal des nach Höxter gezogenen Sohns Gustav kann hier eingegangen werden.

Der Höxteraner Pferdehändler Gustav Frank

Gustav Frank (* 1870) war das vierte Kind Bendix Franks. Er heiratete 1902 die aus Essen stammende Hedwig Baruch (* 1875). Wenige Jahre nach der Geburt des einzigen Sohns Julius (1903–1989) zog die Mutter mit diesem 1908 von Holzminden in die Bismarckstraße 8 nach Höxter, wohin sich ihr Mann allerdings erst 1916 ummeldete. Gustav Frank betrieb in den folgenden Jahren (vermutlich in Kooperation mit seinen Holzmindener Geschwistern) in Höxter einen eigenen Pferdehandel, bis er ihn aus unbekannten Gründen (Krankheit?) 1926 schon mit 56 Jahren aufgab und mit seiner Frau in die Marktstraße 27, dann ab 1933 Nr. 15 umzog.

Kurz nach der Pogromnacht, bei der Gustav Frank nicht nach Buchenwald verbracht wurde, zog das Ehepaar dann (vielleicht wegen Kündigung der Wohnung?) zum Dezember 1938 mit in das Haus der ebenfalls jüdischen Viehhändler Dillenberg in die Stummrigestraße 47, bis die beiden bei der „Konzentration“ der Juden in sog. „Judenhäusern“ im Mai 1942 in das ebenfalls zum „Judenhaus“ erklärte Gebäude der Synagoge in der Nagelschmiedstraße 8 umziehen mussten. Von dort wurden sie am 31.7.1942 nach Theresienstadt deportiert und dann am 23.9.1942 zur Ermordung nach Treblinka verschleppt.

Der Sohn Julius Frank

Zeitungsmeldung vom 11.9.1915
Zeitungsmeldung vom 11.9.1915

Der Sohn Julius (1903–1989) entging dem Holocaust. Er besuchte nach der evang. Volksschule in Höxter ab 1913 das KWG, wo er im selben Jahr bei der Feier zum 25. Regierungsjubiläum des Kaisers ein Gedicht rezitieren durfte und sich 1915 als Quartaner wie andere Schüler an der Sammlung von Goldgeld zur Beschaffung der kriegsnotwendigen Devisen beteiligte. Ostern 1922 erhielt er sein Abiturzeugnis und studierte dann in Göttingen und Berlin Jura. Seine Referendarausbildung nach dem 1. Staatsexamen begann er in Holzminden und setzte sie dann in Braunschweig in der Anwaltspraxis des langjährigen SPD-Stadtverordenten und zeitweisen Landesministers und Ministerpräsidenten des Landes Braunschweig Dr. Heinrich Jasper fort. Die Gutachter lobten Frank als „fleißig, gründlich, gewandt, von sicherem Urteilsvermögen, sehr befähigt, umfassende Rechtskenntnisse“. 1929 nahm er nach dem Assessorexamen in Braunschweig seine Tätigkeit als Anwalt auf.

Schon in seiner Schulzeit am KWG hatte Julius Frank sich gegen antijüdische und antisemitische Auftritte engagiert, als er mit anderen 1920 im Zusammenhang einer Veranstaltung des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes“ zur „Judenfrage“ in Höxter bei einer Kundgebung der Juden im Brückfeld aktiv gegen den sich auch in hier erhebenden Antisemitismus auftrat. Entsprechung setzte er dann auch als Mitglied der SPD, in der er „ziemlich aktiv“ war, in seiner anwaltlichen Tätigkeit sein politisches Engagement fort, wo er „in unzähligen politischen Prozessen verteidigt[e]“, wie er selbst später schrieb.

So verteidigte er 1932 sieben als Kommunisten geltende Wohlfahrtsempfänger, die sich weigerten, die Straße zu kehren und deshalb in handgreiflichen Streit mit der Polizei gerieten. Frank äußerte in dem Prozess, um die Angeklagten zu verteidigen, dass statt ihrer eher der Polizist auf die Anklagebank gehöre, weshalb er daraufhin selbst wegen Beleidigung des Polizisten selbst angeklagt und in einem Schnellverfahren zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt wurde, wogegen er natürlich Berufung einlegte.

Jedoch noch vor dem Berufungsprozess wurde „der aus zahlreichen kommunistischen Prozessen bekannte Rechtsanwalt Jul. Frank“, der sich aus beruflichen Gründen in Westfalen aufhielt, am 18.3.1933 beim Besuch der Eltern in Höxter „in Schutzhaft genommen und noch am selben Tage nach Braunschweig überführt“, wo er bis zum 20.4.1933 als „Schutzhäftling“ im Gefängnis Renneberg eingesperrt wurde. Das Recht zur Vertretung von Angeklagten bei Gericht wurde ihm entzogen.

Zeitungsmeldung über die Verhaftung Julius Franks, 21.3.1933
Zeitungsmeldung über die Verhaftung Julius Franks, 21.3.1933
Zeitungsüberschrift über das Vertretungsverbot für Julius Frank, 14.4.1933
Zeitungsüberschrift über das Vertretungsverbot für Julius Frank, 14.4.1933

Julius Frank wusste also, dass seine Berufung keinen Erfolg haben würde, und das Urteil wäre womöglich noch härter ausgefallen: „Ich habe die Berufungsverhandlung erst gar nicht abgewartet, sondern bin vorher […] ‚getürmt‘.“ Gleich nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis verließ er Braunschweig, ohne seine Wohnung noch einmal zu betreten, in Begleitung eines SA-Mannes, der ihn erst am Potsdamer Bahnhof in Berlin freiließ. Dort heiratete er am 1. August 1933 die in Braunschweig geborene Lucie Rath-Lechner (1910–1993), mit der bereits vorher zusammengelebt hatte, und die beiden flohen noch im selben Monat über England nach Holland und dann nach Montevideo, Uruguay: „Ausgewandert kann man nicht gut sagen, denn wir kamen ohne jedes Gepäck und mittellos in Amsterdam an. Mitte 1936 sind wir mit Hilfe des jüdischen Flüchtlingskomitees nach Uruguay weitergewandert.“

Jahrelang musste er dort sein Geld als kaufmännischer Angestellter das Geld verdienen, da das Oberlandesgericht Braunschweig die Zusendung der Papiere über sein deutsches Jura-Examen verweigerte. Erst nach dem Krieg erhielt er 1953/54 die Unterlagen und konnte so wenig später in Uruguay das Anwaltsexamen auf Spanisch wiederholen. Ab Ende 1955 konnte er so wieder als Anwalt arbeiten. Für seine Haft im Gefängnis Renneberg erhielt er eine einmalige Zahlung von 150 DM, und wegen der erlittenen beruflichen Nachteile bekam er eine monatliche Rente von 500 DM, die sich im Laufe der Jahre schließlich auf knapp 1000 DM steigerte.

Julius Frank im Jahr 1971
Julius Frank im Jahr 1971

Seit 1957 war er als Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft in Montevideo tätig, stand zahlreichen deutschen Staatsbürgern in juristischen Fragen bei und half ins Exil geflohenen Juden bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche auf Entschädigung und Rückerstattung ihres Vermögens. 1975 wurde ihm dafür das Bundesverdienstkreuz verliehen. 1977 wurde er pensioniert. Nach dem Krieg besuchte er oft seine alte Heimat in Höxter und Holzminden, wo er in Archiven und auf Friedhöfen den Spuren seiner Familie nachging. Er starb am 26.1.1989 in Montevideo, seine Frau vier Jahre später 1993.

• Zur Familie Frank in Holzminden siehe Klaus Kieckbusch: Von Juden und Christen in Holzminden 1557–1945. Holzminden 1998.
• Die Informationen über das spätere Lebens Julius Franks gehen auf Recherchen von Schülerinnen und Schülern der Realschule Maschstraße in Braunschweig zurück, zusammengefasst auf Stolpersteine für Braunschweig

Fritz Ostkämper, 1.6.2016
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de