Jüdische Bürger in Höxter

Der jüdische Lehrer Selig Louis Liepmannssohn

Wie die meisten anderen Lehrer der für rund 70 Jahre lang bestehenden jüdischen Elementarschule im linken Teil des Synagogengebäudes blieb auch der aus Sandersleben (Sachsen-Anhalt) stammende Selig Louis Liepmannssohn (1800–1888) nur für wenige Jahre mit seiner Familie in Höxter. Zum einen konnte ihm die damals nur gut einhundertköpfige Judenschaft in Höxter sicher nur ein vergleichsweise geringes Gehalt zahlen, denn die Besoldung war ausschließlich Sache der Juden. Zum andern bot das kleine Höxter dem theologisch breit interessierten Liepmannssohn auch nur wenig Raum zur Entfaltung.

Selig Louis Liepmannssohn war ein Sohn des in Sandersleben wohnenden Nagelschmieds Lipmann Hess und seiner Frau Rahel geb. Juda. Bei der Einführung der Familiennamen behielt die verwitwete Mutter den Namen Hess, während der Sohn Aron den Namen Schlesinger, der Sohn Selig Louis aber den Namen Liepmannssohn annahm. Aron Schlesinger war unter anderem Lehrer und Prediger in Parchim, und auch Selig Louis Liepmannssohn wurde Prediger und Lehrer.

Selig Louis Liepmannssohn (auch Liepmannsohn, Lippmannsohn) hatte an der fortschrittlichen und von den Behörden anerkannten jüdischen Herzoglichen Franzschule in Dessau als Freischüler eine fundierte Ausbildung erhalten und wurde schon als 16-Jähriger Prediger in Mehle, bevor er dann in Bünde erste Erfahrungen als Lehrer sammelte. Von 1824 bis 1840 wirkte er als Lehrer, Kantor und Prediger in Neuenkirchen (Rietberg) und fand mit seinen zahlreichen reformorientierten Schriften überregional und bis in christliche Kreise Beachtung. Dazu zählen etwa eine Gedenkrede zu Moses Mendelssohn, ein (fortgesetzter) „Gemeinnütziger Volkskalender für Israeliten“, eine Deutung der zehn Gebote, Sammlungen von Reden etwa zur Trauung und bei Traueranlässen und ein „Leitfaden zur mosaischen Religion”.

<i>Sulamith,</i> 1829, S. 71f
Sulamith, 1829, S. 71f

Besonderes Lob erhielt er dafür, dass er in Rietberg zu der für die Jungen verbindlichen Bar Mizwa auch für die Mädchen eine „Confirmation“ (Bat Mizwa) einführte. Unter anderem darauf bezieht sich sicher auch die Belobigung der Königlichen Regierung in Minden für Liepmannssohns Schrift „Den sogenannten Bar Mitzwatag durch Predigt, Religionsprüfung u. Ablegen des Glaubensbekenntnisses recht gesegnet u. erspriesslich zu machen: Ein vollständiger Confirmationsact” (1838).

Ab 1841 war Liepmannssohn dann Lehrer und Prediger in Lippstadt, wo er um 1841 die aus Neuenkirchen stammende Johanna Rosenberg (* um 1809) heiratete, deren Familie übrigens auf den berühmten Prager Hofbankier und Finanzier des Kaiser im Dreißigjährigen Krieg Jacob Bassevi von Treuenberg zurückgeht. Vermutlich in Lippstadt wurden auch die beiden älteren Söhne Eli (* um 1844) und Salomon (* um 1846) geboren. Anscheinend ging Liepmannssohn von Lippstadt schon ein Jahr später nach Rüthen. Mglicherweise handelt es sich dabei jedoch um eine Verwechslung mit dem Verlagsort einiger seiner Schriften.

Anforderung eines Berichts über die Schülerzahlen und auf Vorlage der Urkunde der Anstellungsfähigkeit, 24.12.1849
Anforderung eines Berichts über die Schülerzahlen und auf Vorlage der Urkunde der Anstellungsfähigkeit, 24.12.1849

Weshalb sich Liepmannssohn dann 1849 entschied, als Prediger der Synagoge und Lehrer der jüdischen Schule nach Höxter zu gehen, ist unbekannt. Möglicherweise erhoffte er sich hier mehr Ruhe für die Arbeit an seinen (religions-)wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die sein Leben offenbar vor allem bestimmten. Im August 1852 lebte er mit seinen vier Kindern in der sog. „Rappenburg“, dem heutigen „Adam und Eva-Haus“, von denen die beiden jüngeren Söhne Abraham (* 1850) und Joseph (1851–1936) in Höxter geboren waren. Seine Frau Johanna war zu diesem Zeitpunkt nicht in Höxter und kümmerte sich vielleicht in Neuenkirchen um die Familienangelegenheiten ihres 90-jährig verstorbenen Vaters Levi Salomon Rosenberg (1762–1852), der nach seinem Tod auf dem jüdischen Friedhof in Höxter begraben worden war.

Dritte Seite des Beschwerdeschreibens gegen Juda Hochfeld mit Liepmannssohns Unterschrift, 10.5.1850
Dritte Seite des Beschwerdeschreibens gegen Juda Hochfeld mit Liepmannssohns Unterschrift, 10.5.1850

Die mehr als drei Jahre in Höxter haben außer den Berichten über die Schülerzahlen der jüdischen Schule in den Akten des Stadtarchivs nur wenige Spuren hinterlassen. Überliefert ist aber ein Vorgang, wonach Liepmannssohn sich 1850 beim Vorstand der Gemeinde über den wegen seiner Aufsässigkeit bekannten Juda Hochfeld beschwert, der statt seiner die Aufgabe des Vorbeters „usupiert“ habe, und den Vorsteher bittet, gegebenenfalls auch die städtische Polizeibehörde einzuschalten.

Weshalb Liepmannssohns Anstellung bei jüdischen Gemeinde in Höxter schon 1852 wieder endete, ist unbekannt. Ein Grund mag die vermutlich vergleichsweise niedrige Bezahlung sein. Andere Gründe mögen aber auch Konflikte mit der jüdischen Gemeinde sein. Das kann man vielleicht aus den wechselseitigen Vorwürfen in Emmerich schließen, wo Liepmannssohn von 1855 bis 1857 als Lehrer tätig war. Während dieser sich beklagte, mit seiner (dort nur) 16-monatigen Anstellung bei halbjährlicher Kündigungsfrist sei er „gleich einem Dienstboten” der „Willkür der Gemeinde“ ausgesetzt, und er könne nach 41 Jahren Lehrtätigkeit seine Arbeit so nicht mehr erbringen, warf ihm die mit seinem Unterricht unzufriedene Emmericher Gemeinde seine Unfähigkeit vor: Er könne seine eigenen Kinder nicht erziehen und gebe sein Gehalt fast ganz für neue Bücher aus, was seine Frau sehr beklage.

Über die Berechtigung der gegenseitigen Kritik lässt sich von heute aus nur spekulieren. Recht sicher kann man aber von einer zunehmenden Erschöpfung Liepmannssohns ausgehen. Darauf verweist jedenfalls die Tatsache, dass seine Publikationstätigkeit ab den 1850er Jahren deutlich abnahm und dass man schließlich außer Predigten und Reden keine neuen Publikationen aus seiner aus seiner Feder mehr findet.

Vermutlich konzentrierte sich Liepmannssohn immer mehr auf seinen neuen kleineren Wirkungskreis in der jüdischen Gemeinde in Horn, wo er ab 1858 für die folgenden 30 Jahre als Prediger und Lehrer tätig war. Er starb 1888 in Horn und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Lippstadt bestattet, wo auch seine Frau begraben liegt.

Würdigung Liepmannssohn zum 50. Dienstjubläum. <i>Der Israelitische Lehrer</i> 7.5.1866; zuerst in <i>Der Patriot</i>, Lippstadt, 25.3.1866
Würdigung Liepmannssohn zum 50. Dienstjubläum. Der Israelitische Lehrer 7.5.1866; zuerst in Der Patriot, Lippstadt, 25.3.1866
Naturalisierung Eli Liepmannssohns in den USA, 10.8.1882
Naturalisierung Eli Liepmannssohns in den USA, 10.8.1882

Während einer der Söhne nach den Familienerinnerungen beim Abholen von Mehl durch einen Flügel der Windmühle umkam, wurden zwei andere Söhne wie der Vater Prediger und Lehrer. Eli Liepmannssohn (* um 1842) war Lehrer unter anderem in Stadthagen, Hoppstädten und Gladbach. Er wanderte dann in die USA aus, wo er 1882 naturalisiert wurde, und wirkte dort gleichfalls in verschiedenen Gemeinden. Er starb in Chicago.

Sein Bruder Joseph Liepmannssohn (1851–1936), der an der Max-Haindorf-Stiftung in Münster seine Ausbildung absolvierte, war von 1871 bis 1875 Lehrer in Olfen und leitete danach die Kandidatenschule in Rahden, bevor er dann schließlich über 40 Jahre lang von 1880 bis 1920 Prediger in Minden wurde. Von Zeitgenossen wurde er als „sehr geeindruckende Persönlichkeit” beschrieben. Er wurde nach seinem Tod auf dem Mindener jüdischen Friedhof, Auf den Bülten/Erikaweg, beigesetzt. Sein Sohn Paul Liepmannssohn (* 1884) emigrierte 1939 mit seiner Frau Erna (* um 1893) in die USA, wo Nachkommen noch heute leben.

Fritz Ostkämper, 20.8.2016
e-mail: ostkaemper@jacob-pins.de